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Madrapour - Merle, R: Madrapour

Madrapour - Merle, R: Madrapour

Titel: Madrapour - Merle, R: Madrapour Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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Kommentare andie Adresse Manzonis. Plötzlich herrschen im linken Halbkreis solcher Lärm und solche Erregung, daß der Inder sich mit einer Wut, die mich bei einem so selbstbeherrschten Mann verblüfft, in seinem Sessel aufrichtet und mit lauter Stimme schreit: »Genug jetzt!«
    Nach und nach tritt einigermaßen Ruhe ein, in der Mrs. Boyd ihre letzten Schluchzer nach bestem Vermögen unterdrückt. Schlagartig gewinnt der Inder seine Selbstbeherrschung und Gelassenheit zurück. Nachdem es endlich völlig still geworden ist, hebt er die rechte Hand und sagt in seinem vollendeten Englisch mit gekünsteltem
fair play
, aber wie immer voller Ironie:
    »Wenn der BODEN meinen Forderungen nicht nachkommt, ist es wohl angebracht, daß wir jetzt zur Verlosung übergehen, um zu entscheiden, wer von den hier anwesenden Frauen und Männern …«
    Er bricht seinen Satz ab, und es folgt ein langes Schweigen. Zwischen uns werden flüchtige, fast beschämte Blicke gewechselt, dann sagt Caramans mit tonloser Stimme:
    »Nein, ich bin gegen ein solches Vorgehen. Ich bin dafür – und meine Meinung wird hoffentlich von der Mehrheit meiner Reisegefährten geteilt –, Ihnen die volle Verantwortung für die Auswahl Ihrer Opfer zu überlassen.«
    »Sie sagen das«, wirft Blavatski ein, den Kopf streitlustig gesenkt (hinter seinen Brillengläsern mustert er Caramans mit hartem Blick), »weil Sie als Franzose damit rechnen, von dem Piraten schonend behandelt zu werden …«
    Diese Bemerkung zeichnet sich nicht durch übermäßigen Großmut aus, aber letzten Endes stimmt es, daß der Inder, vielleicht mit dem Hintergedanken, uns zu spalten, Caramans gegenüber weniger Feindseligkeit bezeigt hat als Chrestopoulos, Blavatski und mir gegenüber.
    »Nicht im geringsten!« ruft Caramans entrüstet aus.
    Aber seine Entrüstung scheint doppelbödig zu sein, sowohl offiziell-diplomatisch als auch persönlich. Und beides wirkt nicht recht überzeugend.
    »Monsieur Blavatski, Sie erlauben sich eine unzulässige Unterstellung!«
    Caramans ereifert sich, als wollte er sich selbst überzeugen. Und er schickt sich an, alle Register seiner Empörung zu ziehen, als Blavatski ihn unterbricht.
    »In Wirklichkeit ist die Auslosung das einzig demokratische Verfahren und bedeutet zugleich Absicherung gegen eine vom Fanatismus diktierte willkürliche Entscheidung«, sagt er mit Autorität, jede einzelne Silbe betonend.
    Der Inder lächelt nur und mischt sich nicht ein. Aber obwohl Blavatskis Argument durchaus kritikwürdig ist – welche Entscheidung wäre willkürlicher und undemokratischer als die vom Zufall bedingte? –, erntet er beifälliges Murmeln, das indes weniger seinen Standpunkt billigt als vielmehr den von Caramans mißbilligt.
    Dieser spürt es; anstatt jedoch Blavatskis Gesichtspunkt zu widerlegen, sagt er pikiert: »Ich weise noch einmal die gegen mich erhobene Beschuldigung aufs schärfste zurück. Und zur Frage der Auslosung fordere ich eine Abstimmung.«
    »Gut, stimmen Sie ab«, sagt der Inder trocken, »stimmen Sie ab, doch beeilen Sie sich. Es bleibt nur noch eine Viertelstunde.«
    Da hebt die Stewardess schüchtern die Hand und bittet ums Wort. Abermals fühle ich mich außerstande, sie zu beschreiben. Eine Welle heftiger Empfindungen stürmt auf mich ein und weckt plötzlich wieder, um ein Vielfaches verstärkt, jene vehemente Liebe, die ich schon bei der ersten Begegnung empfand. Glauben Sie mir, daß ich mir sehr wohl über die Lächerlichkeit im klaren bin, der sich ein Mann, und obendrein ein Mann von meinem Äußeren, mit solchen Worten preisgibt. Gut, ich mache mich lächerlich. Gleichzeitig aber verleihe ich jenem köstlichen Gefühl Stimme, das mich beherrscht, denn inmitten des Schreckens, der mich umklammert hält, verspüre ich von neuem unwiderstehlich jene Leidenschaft, die mich in ihre Nähe trägt und mich von mir selbst entfernt. Nicht daß die Angst schlagartig verschwunden wäre, aber sie verliert sogleich an Boden, und wenn sie noch meine Stimmabgabe beeinflussen sollte, wird es das letztemal sein, daß sie mich tyrannisiert.
    Ich möchte ihn festhalten können: den Augenblick, da die Stewardess, bleich und gefaßt, ihre Hand zu heben wagt. Die Augen vertrauensvoll auf den Inder gerichtet, sagt sie mit ihrer sanften, leisen, etwas verschleierten Stimme, die ich wohl nie ohne Zärtlichkeit hören werde: »Ich möchte meine Meinung kundtun.«
    »Bitte«, sagt der Inder.
    »Ich teile die Ansicht von Monsieur Caramans«,

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