Madrapour - Merle, R: Madrapour
streitlustig. »Keine überstürzte Abstimmung! Ich lehne das entschieden ab und weigere mich, daran teilzunehmen, solange ich nicht weiß, wie Sergius gemogelt hat.«
»Sie haben es selbst gehört«, antwortet der Inder, »er will es nicht sagen.«
»Aber Sie, Sie wissen es doch!« sagt Blavatski. Seine Angriffslust lebt offenbar wieder auf. »Was hindert Sie, es uns zu sagen?«
»Nichts hindert mich«, sagt der Inder. Und er fügt mit spöttischer Höflichkeit hinzu: »Es sei denn, Mr. Sergius hätte etwas dagegen.«
Ich sehe den Inder an und sage mit verhaltener Wut: »Machen wir mit dieser Komödie Schluß. Ich habe niemanden geschädigt. Sie haben Ihre vierzehn Zettel. Das sollte Ihnen genügen.«
»Wieso vierzehn?« fragt die Murzec.
»Ja, Madame«, sage ich wütend. »Vierzehn! Nicht einer weniger!Und ich danke Ihnen für Ihre großherzigen Unterstellungen!«
»Wenn ich recht verstehe, hat Sergius seinen Namen doch auf einen Zettel geschrieben?« fragt Blavatski.
Der Inder lächelt.
»Sie kennen ihn schlecht: Mr. Sergius ist auf seinen Namen sehr stolz. Er hat ihm nicht weniger als zwei Zettel gewidmet. So kommen wir übrigens auf die Zahl, die Madame Murzec in Erstaunen versetzt.«
»Aber das ändert die Lage völlig!« sagt Blavatski. »Denn wenn Sergius jemand eine Gabe zu Füßen legen will, ist das schließlich seine Sache.«
Der Inder schüttelt den Kopf.
»Das finde ich nicht. Es müssen vierzehn Namen sein und nicht vierzehn Zettel, von denen zwei denselben Namen tragen. Ich kann nicht zulassen, daß jemand bevorzugt wird, wer es auch sei. Sonst wäre die Korrektheit des Verfahrens in Frage gestellt.« Und er fährt fort: »Ich wollte keinen selbstmörderischen Helden. Ebensowenig akzeptiere ich den opferwilligen Liebhaber. Wenn Sie Mr. Sergius nicht zur Rechenschaft ziehen wollen, muß Mr. Sergius den einen Zettel korrigieren – das ist das mindeste.«
Ich schweige.
»Schluß damit«, sagt Blavatski ungeduldig. »Los, mein Guter, geben Sie nach«, wendet er sich an mich. »Sie halten die Verlosung auf, die wir alle demokratisch beschlossen haben.«
»Korrigieren Sie den Zettel doch selbst!« sage ich wütend. »Ich will damit nichts mehr zu tun haben! Und glauben Sie mir, ich bereue längst, für diese Auslosung gestimmt zu haben. Das ist eine verdammte Gemeinheit! Und ich bereue auch, die Namen geschrieben zu haben!«
Blavatski zuckt die Achseln und sieht den Inder bedeutungsvoll an. Letzterer macht eine Handbewegung, und die Assistentin bringt Blavatski den Zettel. Er legt ihn auf sein Knie und korrigiert ihn mit seinem Kugelschreiber. Beim letzten Buchstaben durchbohrt die Spitze das Papier, und Blavatski flucht in einer Weise, die dem Zwischenfall gar nicht angemessen ist. Ich glaube, daß er in dem Moment, als er den fehlenden vierzehnten Namen aufschreibt, die ganze Ungeheuerlichkeit unserer Entscheidung empfindet, so wie ich wenige Minuten zuvor.
Die Assistentin nimmt den Zettel aus Blavatskis Händen – jede Berührung meidend, als wäre er der Letzte der Unberührbaren –, kehrt an die Seite des Inders zurück und zeigt ihm den noch nicht wieder gefalteten Zettel. Er nickt bejahend, sie knifft, die Waffe noch immer auf uns gerichtet, den Zettel erstaunlich geschickt mit einer Hand zusammen und wirft ihn in den Turban, den der Inder in seiner Rechten hält. Zum erstenmal bemerke ich, zumindest bewußt, daß er Linkshänder ist: Er hält seine Waffe in dieser Hand. Aber er hat sie, im Gegensatz zu seiner Assistentin, nicht im Anschlag.
Obwohl ich die beiden nicht aus den Augen lasse, sehe ich nicht, daß sie sich bewegen. Und trotzdem stelle ich fest, daß sie zurückgewichen sind. Sie stehen jetzt außerhalb des Kreises vor dem Vorhang zur Pantry. Im Gesicht des Inders lese ich jenen religiösen Ernst, der mir schon zu Beginn der Entführung aufgefallen war. Man könnte meinen, daß er sich mit der Waffe in der Hand anschickt, eine Predigt zu halten.
So ernst diese Haltung sein mag, sie entbehrt nicht einer schwer zu übertreffenden Ironie: Welche moralische Lektion kann unser potentieller Mörder uns erteilen?
»Gentlemen«, sagt er (und versäumt erneut jegliche Bezugnahme auf die Damen), »wenn das Flugzeug nicht landet, werde ich in wenigen Minuten mit größtem Bedauern gezwungen sein, ein menschliches Leben auszulöschen. Aber ich habe keine andere Wahl. Ich muß um jeden Preis hier herauskommen. Ich kann nicht länger an Ihrem Schicksal teilhaben und auch nicht an
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