Madrapour - Merle, R: Madrapour
ich etwas sagen?«
»Ich höre«, sagt der Inder.
Ich blicke auf. Den von der Sonne gebräunten schönen Kopf mit den lebhaften Augen erhoben, scheint Robbie die Stunde seines Triumphes für gekommen zu halten. Und er sagt mit frohlockender Stimme:
»Ich erkläre mich freiwillig bereit, das erste Opfer zu sein, das Sie hinrichten werden.«
Ein Zittern läuft durch den Kreis. Alle Blicke richten sich auf Robbie, und zwangsläufig haben sie alle den gleichen Ausdruck. Im linken Halbkreis herrschen Bewunderung und Dankbarkeit vor, im rechten Halbkreis ist auch Beschämung zu erkennen.
»Warum haben Sie dann für die Auslosung gestimmt?« fragt der Inder tadelnd.
»Einfach deshalb, weil ich Angst hatte, daß die Wahl auf mich fallen würde«, antwortet Robbie ruhig.
»Und jetzt wollen Sie Ihre Angst durch eine Flucht nach vorn überwinden?« fragt der Inder mit einer Grausamkeit, die mir den Atem verschlägt.
»Man kann es so sehen«, erwidert Robbie blinzelnd. »Nur daß ich nicht zu fliehen glaube.«
Mit halbgeschlossenen Augen verharrt der Inder lange in Schweigen, und Robbie fährt fort:
»Es wäre für mich und vielleicht auch für mein Land eine große Ehre, wenn Sie einwilligten.«
»Nein«, sagt der Inder schroff. »Ich willige nicht ein. Sie hätten gegen die Auslosung stimmen sollen. Jetzt ist es zu spät. Sie werden das Schicksal der anderen teilen.«
Enttäuschtes Murmeln im linken Halbkreis, und der Inder sagt, ohne die Stimme zu heben:
»Allerdings hindere ich niemanden, sich freiwillig zu melden, sofern er gegen die Auslosung gestimmt hat.«
Entsetztes Schweigen auf der linken Seite, wo niemand zu atmen wagt. Aber der Inder läßt es nicht dabei bewenden. Er fährt mit unerbittlicher Bösartigkeit fort:
»Madame Murzec, melden Sie sich freiwillig?«
»Ich weiß nicht, warum gerade ich«, entgegnet die Murzec.
»Antworten Sie mit Ja oder Nein.«
»Nein.«
»Mrs. Banister?«
»Nein.«
»Mrs. Boyd?«
»Nein.«
»Madame Edmonde?«
»Nein.«
»Mademoiselle?«
Die Stewardess schüttelt den Kopf.
»Monsieur Caramans?«
»Nein. Aber darf ich meine Antwort mit einem Satz kommentieren?« setzt Caramans sogleich hinzu.
»Nein, Sie dürfen nicht«, antwortet der Inder. »Ihr Kommentar würde Ihr Ansehen auch keinesfalls erhöhen.«
Caramans erbleicht und bleibt stumm. Der Inder wechselt mit seiner Assistentin einige Worte auf Hindi; sie bückt sich, hebt den Turban ihres Chefs auf, geht an Chrestopoulos, Pacaud, Bouchoix und Blavatski vorbei, postiert sich hinter meinem Sessel und reicht mir die Kopfbedeckung. Ich lege die vierzehn mit Namen versehenen, vierfach gefalteten Zettel hinein.
»Ich vermute, daß Sie die Auslosung korrekt vornehmen wollen«, sagt die Murzec mit ihrer krächzenden vornehmen Stimme zu dem Inder.
»Selbstverständlich.«
»Dann zählen Sie die Zettel und vergewissern Sie sich, ob es wirklich vierzehn sind. Falten Sie jeden Zettel auseinander und prüfen Sie, ob auf allen Zetteln ein Name steht.«
»Madame!« sage ich entrüstet.
»Ihr Vorschlag ist goldrichtig, Madame«, sagt der Inder. »Mir liegt sehr viel an einem korrekten Ablauf.«
Er steht auf, stellt sich rechts neben seine Assistentin, greift mit der rechten Hand in seinen Turban (in der linken hält er die Waffe), nimmt einen Zettel heraus, faltet ihn auseinander, liest, läßt ihn in die andere Hand gleiten, die die Waffe hält. Diese Prozedur wiederholt er bis zum letzten Zettel.
Als er fertig ist, sieht er mich von Kopf bis Fuß an und sagt mit einer Strenge, in der Spott mitschwingt: »Ich hätte es niemalsfür möglich gehalten, daß ein britischer Gentleman fähig wäre zu mogeln. Aber es ist leider wahr: Mr. Sergius hat gemogelt.«
Ich schweige.
»Mr. Sergius, möchten Sie Ihr Verhalten erklären?« fragt der Inder mit einem keinesfalls feindseligen Aufblitzen in den Augen.
»Nein.«
»Sie geben also zu, gemogelt zu haben?«
»Ja.«
»Und Sie wollen nicht erklären, wie und weshalb?«
»Nein.«
Der Inder läßt den Blick über den Kreis schweifen.
»Nun, was halten Sie davon? Mr. Sergius gesteht ein, daß er versucht hat zu mogeln. Welche Strafe wollen Sie gegen ihn verhängen?«
Schweigen.
»Ich schlage vor, daß wir Mr. Sergius als erstes Opfer bestimmen«, sagt Chrestopoulos mit einer Stimme, in der Hoffnung zittert.
»Recht so!« sagt der Inder mit abgrundtiefer Verachtung und fügt sofort hinzu: »Wer ist mit diesem Vorschlag einverstanden?«
»Moment!« ruft Blavatski
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