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Madrapour - Merle, R: Madrapour

Madrapour - Merle, R: Madrapour

Titel: Madrapour - Merle, R: Madrapour Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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Sie sich überzeugen konnten, ist sie viel robuster.«
    »Ob nun Ihre Assistentin oder Sie selbst, das läuft aufs gleiche hinaus«, sagt Mrs. Banister entrüstet und vergißt völlig ihren Charme.
    »Leider ja«, sagt der Inder. »Aber wenn meine Assistentin schießt, wird meine … Sensibilität etwas geschont.«
    »Und Sie haben obendrein den traurigen Mut, sich über uns lustig zu machen!« Mrs. Banister geht unvermittelt von der Verführung zum Zorn über.
    “My dear! my dear!”
sagt Mrs. Boyd. »Sie werden sich doch nicht mit diesem … Gentleman überwerfen!«
    Sie hat den Bruchteil einer Sekunde gezögert, bevor sie »Gentleman« sagte.
    »Mit diesem farbigen Gentleman«, sagt der Inder unbewegt.
    Schweigen. Und Mrs. Banister äußert auf ziemlich theatralische Art: »Ich hoffe, Sie werden sich wenigstens angelegen sein lassen, die Frauen zu schonen.«
    Hier lacht die Murzec höhnisch, und der Inder murmelt: »Da haben wir’s.«
    Er richtet seine Augen auf Mrs. Banister, aber anstatt seinem Blick größte Intensität zu verleihen, hält er ihn, wenn ich so sagen darf, auf halber Flamme und läßt ihn langsam, mit Vorbedacht und unglaublich herausfordernd über ihr Gesicht, ihren Busen und ihre Beine gleiten, genauso wie die Passanten die zur Schau gestellten Prostituierten in den Schaufenstern Amsterdams taxieren. Daraufhin wendet er den Kopf ab, als hätte ihn diese Prüfung nicht zufriedengestellt.
    »Madame, ich sehe keinen Grund, den Frauen Privilegien einzuräumen, weil sie sich ja zu Recht den Männern gleichstellen wollen«, sagt er mit jener korrekten und spöttischen Höflichkeit, deren er sich gegenüber den Frauen bedient. »Was mich betrifft, habe ich keine sexuellen Vorurteile, wenn es gilt, eine Geisel hinzurichten: ob Mann oder Frau – unwichtig.«
    Die Murzec läßt sich abermals mit einem leisen höhnischen Lachen vernehmen. Ihre unerbittlichen blauen Augen auf Mrs. Banister gerichtet, sagt sie zischend: »Bravo! Das haben Sie davon, wenn Sie die Hure spielen!«
    Mrs. Banister schließt ihre japanischen Augen zur Hälfte, aber ihre Ohren kann sie nicht so hermetisch verschließen, alsdaß sie nicht den unerwarteten brutalen Angriff zur Kenntnis nehmen müßte, den Madame Edmonde gegen sie führt.
    Ich verzichte darauf, die unflätigen Einzelheiten wiederzugeben. Alles in allem wirft Madame Edmonde ihr vor, durch ihre Fragen und Provokationen die Haltung des Inders gegenüber den Frauen ungeschickterweise verhärtet zu haben. Mit bebenden Schultern, wogendem Busen und erigierten Brustwarzen steigert sie sich bei ihrer Schimpfkanonade zu den heftigsten Tönen.
    Mrs. Boyd, deren rundes Gesicht vor Verzweiflung gedunsen ist, fängt zu schluchzen an, aber nicht weil ihr die Kränkung naheginge, die ihrer Freundin zugefügt wird, sondern weil die realistische Sprache Madame Edmondes ihr zum erstenmal die wirkliche Situation deutlich vor Augen führt.
    Mrs. Banister beugt sich zu ihr und versucht, sie zu trösten. Diese mitleidige Haltung erscheint mir bei ihr mondän und oberflächlich. Denn an dem Ausdruck ihrer japanischen Maske erkenne ich, wie sehr sie diese Tränen verachtet und wieviel Ähnlichkeit sie, zumindest darin, mit der Murzec hat.
    Letztere gelangt kraft ihrer Boshaftigkeit zu einem gewissen Stoizismus; sie begleitet Madame Edmondes Schmährede mit kurzen Jubelausbrüchen, die mir nicht weniger auf die Nerven gehen als Robbies erregter Wortschwall, mit dem er den Aufruhr in der Kemenate kommentiert.
    Als einzige im linken Halbkreis schweigt Michou – abgesehen von der Stewardess, die ohnehin einsilbig ist. Aber das Schweigen der Stewardess bedeutet angespannte Aufmerksamkeit, Michous Schweigen ist Abwesenheit. Taub und blind für alles, was in dem Flugzeug vor sich geht, betrachtet sie mit verzücktem Gesicht das auf ihren Knien liegende Foto von Mike. Und obwohl ich weiß, wie groß die Kraft der Träume ist, zumal bei Jugendlichen, setzt mich Michou doch in Erstaunen. Sie hat also nichts mitgekriegt: weder die giftige Bemerkung der Murzec über Mike noch die Zweifel des Inders betreffs Madrapour, weder die Androhung der ersten Hinrichtung noch die kurze Zeitspanne, die uns davon trennt.
    Nach vorübergehender trügerischer Stille zieht Madame Edmonde von neuem mit haarsträubenden Beschimpfungen gegen Mrs. Banister zu Felde; Mrs. Boyd schluchzt wieder, Mrs. Banister tröstet sie mit erhobener Stimme, die Murzec höhnt, und Robbie gibt über Michous Kopf unüberhörbare

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