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Madrapour - Merle, R: Madrapour

Madrapour - Merle, R: Madrapour

Titel: Madrapour - Merle, R: Madrapour Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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werden sie brauchen, wenn der BODEN meine Bitten nicht erhört. Im jetzigen Stadium verweigere ich jegliche Diskussion. Es sei denn«, fährt er fort, »daß einer von Ihnen bereit wäre, an Michous Stelle zu treten.«
    Seine Worte lösen bei uns zwei Reflexbewegungen aus: erst wenden wir die Augen ab, dann richten wir sie auf Robbie. Er zuckt unter dem Ansturm unserer Blicke zusammen; den Kopf zurückgeworfen, läßt er seinen Blick über uns schweifen und sagt in schneidendem Ton:
    »Wenn Sie an mich denken, irren Sie sich. Mein heroischer Moment ist vorbei. Man hat mir gesagt, ich solle das Schicksal der anderen teilen. Nun teile ich es. Und Gott allein weiß, ob es das der anderen ist.«
    In das folgende Schweigen platzt Chrestopoulos hinein.
    »Aber Sie haben sich doch schon freiwillig …«
    »Eben«, sagt Robbie mit herausforderndem Narzißmus. »Wie alle echten Künstler wiederhole ich meine Auftritte nicht.«
    »Es handelte sich also um einen ›Auftritt‹?« fragt die Murzec.
    Aber Robbie fürchtet solche Angriffe nicht.
    »Ja«, sagt er trocken, »um einen Auftritt, den jeder schaffen kann: Sie sollten es versuchen.«
    »Ich verstehe natürlich Ihre Beweggründe«, fährt die Murzec mit einem schamlosen Blick auf Manzoni und Michou fort. »Sie haben keine Lust, das Leben einer Rivalin zu retten.«
    »Madame, Sie sind niederträchtig!« sagt Manzoni.
    »Ruhe! Ruhe!« schreit der Inder aufgebracht. »Ich habe dieses klägliche Gezänk satt. Wenn Sie nichts anderes zu tun haben, bringen Sie wenigstens soviel Schamgefühl auf, zu schweigen!«
    Michou nimmt die Hände vom Gesicht, das von Tränen und Angst entstellt ist. Sie weint hemmungslos wie ein Kind, undihren Lippen entweicht eine ununterbrochene Klage, die uns das Herz zerreißt.
    »Seht mich nicht an!« sagt sie, an den Kreis gewendet, mit erstickter Stimme. »Ich will nicht, daß ihr mich anseht! Das ist schrecklich! Ich weiß, was ihr erwartet!«
    Und wieder verbirgt sie das Gesicht schluchzend in ihren Händen. Mir ist die Kehle wie zugeschnürt, ich bin bis ins Innerste aufgewühlt und dennoch weit entfernt, den unermeßlichen Abgrund zu überspringen, der mich von der Selbstopferung trennt.
    »Ich schlage vor«, sagt Pacaud tonlos, während ihm aus den hervorquellenden Augen Tränen über die puterroten Wangen rinnen, »daß wir eine neue Auslosung vornehmen, von der Michou ausgeschlossen bleibt.«
    Der Inder schweigt, alle anderen schweigen auch. Niemand sieht Pacaud an.
    »Was meinen Sie, Monsieur?« wendet er sich an den Inder.
    »Nichts«, sagt der Inder. »Machen Sie das unter sich ab. Ich befasse mich damit nicht mehr.«
    Angewidert setzt er sich neben Chrestopoulos auf seinen Platz und hält Pacaud den Turban hin, den dieser mit zitternden Händen ergreift.
    »Wer ist mit einer neuen Auslosung einverstanden?« fragt Pacaud.
    Alles bleibt stumm und blickt zu Boden, die Passagiere scheinen sich in steinerne Statuen zu verwandeln. Ich nicht weniger als die anderen. Das ganze große Mitleid verflüchtigt sich, wenn es zu handeln gilt. Alle schrecken davor zurück, noch einmal die grauenvollen Minuten zu durchleben, die der Bekanntgabe des Namens vorausgegangen waren. Wir haben unsere große Erleichterung kapitalisiert, wollen kein Risiko eingehen und akzeptieren Michous Tod uneingestanden, allein durch unser Schweigen, ein zweites Mal.
    Verzweifelt wiederholt Pacaud seine Frage. Die Stewardess hebt die Hand: bleich, die Lippen aufeinandergepreßt. Mit ernstem Gesicht sieht sie mich an. Ich hebe ebenfalls die Hand. Nein, ich halte mir diese Geste nicht zugute, absolut nicht. Ich führe sie aus, um bei der Stewardess nicht an Ansehen zu verlieren, denn in diesem Augenblick spüre ich kein Mitleid mehr: die Angst vor einer neuen Auslosung hat es getötet.
    Zu meinem großen Erstaunen hebt auch Blavatski die Hand; ich hätte ihm soviel Herz nicht zugetraut. Dann hebt Pacaud die Hand. Das ist alles.
    »Robbie?« fragt Pacaud.
    »Monsieur Pacaud«, sagt Caramans autoritär, »Sie dürfen auf die Leute keinen Druck ausüben, damit sie in Ihrem Sinne abstimmen.«
    Robbie hebt das Kinn, sieht Pacaud mit hartem Blick ins Gesicht und sagt deutlich und herausfordernd: »Nein!«
    Die Murzec lacht hämisch.
    »Monsieur Manzoni?« fragt Pacaud weiter.
    »Hören Sie, das ist unzulässig!« wiederholt Caramans.
    Errötend und verwirrt deutet Manzoni ein Kopfschütteln an. Pacaud wendet sich Caramans zu.
    »Und Sie?« fragt er schroff.
    »Monsieur Pacaud!«

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