Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Madrapour - Merle, R: Madrapour

Madrapour - Merle, R: Madrapour

Titel: Madrapour - Merle, R: Madrapour Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
Vom Netzwerk:
– auf die im Flugzeug üblicherweise angebotenen Gerichte bin ich ohnehin nicht scharf –, sondern weil ich hoffe, ihre Aufmerksamkeit auf mich zu lenken und ihre Augen zu sehen. Als ihr Blick auf mein Tablett fällt, sage ich mit einem Nachdruck, der meiner Frage keineswegs angemessen ist: »Darf ich Sie um Salz bitten?«
    Keinerlei Erfolg. Sie deutet mit dem Zeigefinger auf ein Papiertütchen, das auf meinem Tablett liegt, öffnet jedoch nicht den Mund und sieht mich auch nicht an. Ihr Gesicht ist dem meinen sehr nahe, und mir fällt erneut ihre Blässe auf. IhreLippen indes zittern nicht mehr. Es ist ihr gelungen, sie unter Kontrolle zu bekommen, aber statt dessen hat sich ihr ganzer Mund verkrampft.
    Ich habe keine Zeit, etwas hinzuzufügen. Nachdem sie mich bedient hat, zieht sie eilig das Wägelchen weg und verschwindet hinter dem Vorhang der Bordküche. Die Schnelligkeit ihrer Bewegung läßt an eine überstürzte Flucht denken, und an dem Ausdruck, den daraufhin die unerträglichen blauen Augen und das gelbliche Gesicht von Madame Murzec annehmen, begreife ich, daß die Stewardess vor ihr oder vielmehr vor ihren Fragen flieht.
    »Das kleine Luder hat mir nicht geantwortet«, sagt Madame Murzec mit einer Stimme, die vom übermäßigen Rauchen männlich geworden ist.
    Sie scheint bei diesen Worten nicht die Zustimmung der anderen zu erheischen. Jedenfalls nicht die der Männer. Sie haßt das starke Geschlecht, das ist offensichtlich, und erwartet nichts Gutes von ihm, auf keinem Gebiet, auch nicht in den körperlichen Beziehungen, wo sie sich anscheinend seit langem für die Autarkie entschieden hat. Dagegen hätte sie es wohl nicht verschmäht, in dem Streit, den sie mit der Stewardess sucht, die Unterstützung der beiden gemeinsam reisenden vornehmen Damen zu finden, von denen die ältere neben ihr sitzt.
    Obwohl die beiden Freundinnen sind, bilden sie kein Paar. Es sind eher zwei untröstliche Hälften, die durch die Witwenschaft einander nähergebracht wurden. Robbie, der Manzoni weiterhin beharrlich und ohne Aussicht auf Erfolg den Hof macht und dem kein Quentchen von dem entgeht, was um ihn herum geschieht, nennt die beiden außerhalb ihrer Hörweite die
viudas
.
    Robbie, ein kleiner Polyglott, spricht außer Deutsch, seiner Muttersprache, Französisch, Englisch und Spanisch. Aber daß er das spanische Wort
viuda
statt des englischen
widow
, des deutschen
Witwe
oder des französischen
veuve
wählt, zeugt von der Empfindsamkeit und Raffinesse seines Sprachgefühls. Denn von allen diesen Wörtern ist das spanische
viuda
dem lateinischen
vidua
am nächsten und klingt am stärksten an das französische
»vide«
(leer) an.
    Als ich Robbie später frage, warum er nicht auch MadameMurzec, die doch Witwe ist, den
viudas
zuordnet, sprühen seine schönen braunen Augen, und er sagt mit gewohnter Lebhaftigkeit, während er mit seinen beiden Händen auf ungewöhnliche Weise in Höhe seiner Schultern gestikuliert: »Aber nein, aber nein, nicht im entferntesten. Das ist nicht dasselbe. Bei ihr ist die Leere eine Berufung.«
    Bei den
viudas
war das sicherlich nicht der Fall. Sie sind beide charmant, wenn auch auf unterschiedliche Weise. Mrs. Boyd in der Art der alten, gebildeten, kosmopolitischen Amerikanerin; Mrs. Banister ist snobistisch und selbstsicher, mit sehr schönen Überbleibseln einer sportlichen Brünette – Überbleibsel, die vermutlich auch auf jüngere Männer als mich noch anziehend wirken.
    Als Madame Murzec laut und demonstrativ ihre häßliche Bemerkung über die Stewardess macht, fange ich vielsagende Blicke zwischen Mrs. Boyd und Mrs. Banister auf. Ohne daß zwischen ihnen ein Wort fällt, sind sie sich darüber einig geworden, Madame Murzec nicht die Unterstützung zu gewähren, die sie unausgesprochen von ihnen erwartet.
    Während ich diese kleinen Scharmützel beobachte, schlinge ich lustlos das Essen hinunter, zu dem eine fade Scheibe gefrosteter Hammelkeule gehört. Ich beeile mich. Ich habe die absurde Vorstellung, daß die Stewardess um so schneller wiederkommen wird, um abzuräumen, je schneller ich fertig bin.
    Ich bin fertig. Ich warte, daß auch die anderen ihren Fraß hinuntergeschluckt haben, und mehr denn je fühle ich mich als Gefangener meines mit Abfällen beladenen Tabletts. Was für eine klägliche Bewirtung an Bord dieser Flugzeuge! Von Essen kann keine Rede sein, dieses Wort verdient der Vorgang nicht. Sagen wir, man tankt auf, so wie das Flugzeug.
    Der Vorhang wird

Weitere Kostenlose Bücher