Madrapour - Merle, R: Madrapour
antworten. Erst nach einer ganzen Weile beugt sich Robbie mit lebhaftem Blick so weit vor, daß er die Murzec sieht, und klärt sie auf.
»Jeder dieser Zettel ist dank einer von Hand vorgenommenen Aufschrift tausend Schweizer Franken wert. Es ist Toilettenpapier.«
»Wie abscheulich!« sagt die Murzec.
»Oh, Sie wissen doch, Geld stinkt nicht. Das ist sogar der stärkste Vorwurf, den man dem Kapitalismus machen kann.«
Dieser harmlose Angriff auf die Errungenschaften des Westens trägt Robbie einen mißtrauischen Blick Blavatskis ein.Das Angenehme an einem Bullen ist – und sei er noch so intelligent –, daß man förmlich sehen kann, wie sein Gehirn funktioniert. In dieser Minute könnte ich fast mit Sicherheit sagen, was Blavatski von Robbie denkt. Aber er irrt sich, denn Robbie ist zu sehr auf sich selbst ausgerichtet, um einer politischen Überzeugung zu folgen, sei es auch nur als Mitläufer und für kurze Zeit.
Wenn ich mich nicht bewege, spüre ich meine Schwäche, außer in den Beinen, nicht gar so sehr. Wie es ist, wenn einem die Knie weich werden, habe ich schon erfahren. Aber darin liegt eben der Unterschied: ich habe keine Grippe hinter mir und kann nicht auf eine allmähliche Besserung meines Zustandes hoffen. Mit wachsender Angst spüre ich, wie eine Krankheit von mir Besitz ergreift, von der ich nichts weiß und die weder Fieber noch Schmerzen noch sonst ein benennbares Unwohlsein mit sich bringt, sondern lediglich unendliche Schwäche und grenzenlose Müdigkeit. Ich vermute, daß schwerkranke Anämiker und sehr alte Menschen Tag und Nacht diese quälende Empfindung haben müssen, ihre Kräfte zusehends schwinden zu sehen.
Gleichzeitig spüre ich, vielleicht auf Grund meiner Erschöpfung, eine Reizbarkeit, der ich nur schwer Herr zu werden vermag. Alles ärgert mich, alles geht mir auf die Nerven, vor allem dieses Poker im rechten Halbkreis zwischen dem Sterbenden, dem Drogenhändler und dem Liebhaber »falscher Gewichte«. Nur mit Mühe ertrage ich ihre ernsten Gesichter, ihr Schweigen, das besessene Kartenmischen, ihre dramatischen Ansagen, das Rascheln der Zettel, die ihnen als Geld dienen. Ich schließe die Augen und sehe sie trotzdem, Gefangene ihres Rituals, bangend dem Köder ihres lächerlichen Gewinns nachjagend. Und ich spüre beinahe körperlich ihren beschleunigten Herzrhythmus, wenn einer von ihnen feierlich »zu sehen« verlangt und eine volle Sekunde verrinnt, ehe der Gegner seine Karten auf den Tisch legt. Obwohl ich von Natur aus tolerant bin, empfinde ich Ekel. Das menschliche Herz sollte für anderes als für Klopapier schlagen, scheint mir.
Je länger das Spiel andauert, um so mehr fühle ich Ekel in mir aufsteigen angesichts der Verlogenheit dieses stupiden Kults, der in aller Öffentlichkeit mit dem Zufall, dem Betrug und dem Geld betrieben wird.
»Schade, daß Sie nicht mehr Ihre Ringe haben«, sagt plötzlichBlavatski zu Chrestopoulos, während Pacaud, dessen Zettelvorrat immer kleiner wird, lange die Karten mischt. »Die hätten Sie setzen können.«
»Ich setze nie meine Ringe!« erwidert Chrestopoulos, als ob sie noch seine Finger schmückten.
»Ja gewiß, das wird nicht nötig sein«, meint Blavatski. »Sie verlieren wahrscheinlich nicht oft!«
»In der Tat«, entgegnet Chrestopoulos selbstsicher. »Ich gewinne. Und ich gewinne nicht, weil ich falschspiele, wie Sie, Monsieur Blavatski, mir unterstellen wollen. Ich gewinne, weil ich spielen kann.« Er fährt sich mit der Hand über die Stirn, um sich den Schweiß abzuwischen, und sagt dann nicht ohne Würde: »Als griechischer Bürger bedaure ich den rassistischen Charakter Ihrer Unterstellung.«
Blavatski antwortet mit keinem Wort, weder zu seiner Verteidigung noch zur Entschuldigung. Er sitzt da wie ein Klotz, die Lippen zusammengekniffen, die Augen hinter den Brillengläsern verborgen.
Daraufhin seufzt die Murzec und sagt betrübt: »Der Inder hat den großen Weg eingeschlagen, und wir schlagen den kleinen ein.«
Dieser geheimnisvolle Satz wäre ohne Echo geblieben, wenn Robbie ihn nicht aufgegriffen hätte.
»Was verstehen Sie unter dem ›großen Weg‹, Madame?« fragt er mit echter oder gespielter Ehrerbietung (ich lasse es dahingestellt). »Und woraus schließen Sie, daß der Inder ihn eingeschlagen hat?«
»Er hat es doch selbst gesagt: ›Ich bin ein Mann des großen Weges.‹«
Ihr Irrtum ist so offensichtlich und für mich als Linguisten so unerträglich, daß ich mich verpflichtet fühle
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