Madrapour - Merle, R: Madrapour
schwacher, vorwurfsvoller Stimme ungeduldig: »Worauf … wartest du denn noch?«
Der Tonfall besagt deutlich genug, daß sein Schwager ihn aus Egoismus des letzten Vergnügens in seinem Leben beraubt.
»Nun machen Sie schon, Monsieur Pacaud! Was befürchten Sie?« sagt Robbie plötzlich, wie immer voller Anspielungen. »Schreiben Sie, was Sie wollen! Datieren Sie! Unterzeichnen Sie! Das hat alles keine Bedeutung! Auch wenn Monsieur Chrestopoulos und die anderen Herren vom Gegenteil überzeugt sind.«
Pacaud begreift offenbar gar nicht, was Robbie damit sagen will. Von Bouchoix gedrängt, von Robbie beruhigt (den Madame Edmondes Enthüllungen über Pacaud nicht davon abhalten konnten, sich ihm gegenüber freundschaftlich zu verhalten), entschließt er sich, die dreißig Scheine in aller Eile auszufertigen. Er unterschreibt, gibt Bouchoix zehn, Chrestopoulos zehn und behält den Rest.
Ich schließe die Augen. Mir ist es zuwider, diesem Spiel zu folgen. Ich finde es absurd, deplaciert und letzten Endes demütigend für alle – auch für die unfreiwilligen Zuschauer. In diesem Moment von Bouchoix’ Reise, meiner Reise, unserer Reise, hätte ich weniger Nichtigkeit erwartet. Übrigens gibt es bei dieser Partie nicht den geringsten »suspense«: Das Ergebnis steht von vornherein fest.
Plötzlich kommt es zu einem kurzen Wortgeplänkel, das mich veranlaßt, die Augen wieder zu öffnen. Mit seiner samtigen Stimme sagt Manzoni lispelnd:
»Zwischen Ihnen und Monsieur Chrestopoulos ist ein Sessel frei: gestatten Sie mir, dort Platz zu nehmen?«
»Nein«, sagt Michou mit gestrengem Blick. »Ich brauche Sie nicht mehr, danke«, fügt sie mit einer Grausamkeit hinzu, die ihr wahrscheinlich gar nicht bewußt ist.
»Mein Engelchen!« sagt Pacaud vorwurfsvoll.
»Im Moment eine unverdiente Benennung«, meint Robbie.
»Kümmern Sie sich um Ihre dreckigen Karten«, sagt Michou und sieht Pacaud trotzig an, »und lassen Sie mich in Ruhe!«
Manzoni ist ein wenig bleich geworden, verzieht aber nicht das Gesicht; nur seine Finger verkrampfen sich auf den Sesselarmen. Er würde noch blasser werden, wenn er den Blick sehen könnte, den seine Nachbarin ihm durch die halbgeschlossenen Lider zuwirft – abermals bin ich betroffen, wieviel Ähnlichkeit diese Lidspalten mit Schießscharten haben. Gleicher Verwendungszweck: sehen, ohne gesehen zu werden; schießen, ohne getroffen zu werden …
Im selben Augenblick streckt Robbie seinen grazilen langen Arm aus, legt seine zarte Hand auf Manzonis Knie und läßt sie dort wie unbeabsichtigt liegen. Diese Geste, die ihn trösten soll, kommt einer Liebkosung sehr nahe, aber Manzoni duldet sie, vielleicht wegen ihrer Zweideutigkeit, vielleicht weil er in seiner Sensibilität – eine Eigenschaft, die zumindest ebensowie seine Schönheit seinen Erfolg bei Frauen erklärt – den Freund nicht kränken will. Madame Edmonde jedoch reagiert ohne Verzug. Sie beugt sich zu Robbie vor und fährt ihn mit leiser Stimme wütend an. Wenn ich richtig höre, droht sie, ihm »ein paar Ohrfeigen zu verpassen«, und da sie ihn dabei grob am linken Arm packt, verzieht Robbie vor Schmerz das Gesicht und nimmt die schuldige Hand von Manzonis Knie. Letztendlich scheint er mit solcher Mißhandlung, Zurechtweisung und Bestrafung gar nicht unzufrieden zu sein, ohne indes die herrlichen Träume aufzugeben, die in den Windungen seiner Hirnhaut schlummern, den Italiener betreffend.
Im rechten Halbkreis hat sich unterdessen das Pokerspiel belebt, Bouchoix’ Augen glänzen in seinem starren Gesicht, obwohl er nur mit Mühe die Karten halten kann. Da teilt sich der orangefarbene Vorhang zur Pantry, und Madame Murzec taucht wieder auf, den Blick gesenkt, das gelbe Gesicht entspannt, dank der Andacht in ihrer Selbstsicherheit gefestigt. Sie plaziert sich bescheiden in einen Sessel, aber als sie schließlich aufblickt, strahlen ihre im Gebet sanfter gewordenen Augen dennoch ein unerträgliches Stahlblau aus, und sie bemerkt erstaunt das zu ihrer Rechten in Gang befindliche Spiel.
»Wie!« sagt sie entrüstet mit leiser Stimme, »haben sie den Kranken trotz seines Zustands zum Spielen verleitet?«
»Nein, nein«, gibt Mrs. Banister zur Antwort, »ganz im Gegenteil. Der Kranke hat die anderen verleitet«, setzt sie flüsternd mit heimtückischer Ironie hinzu.
»Und womit setzen sie, wenn sie doch kein Geld haben? Was sollen diese Zettel?« fragt die Murzec.
Weder Mrs. Banister noch Mrs. Boyd lassen sich herab zu
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