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Madrapour - Merle, R: Madrapour

Madrapour - Merle, R: Madrapour

Titel: Madrapour - Merle, R: Madrapour Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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einzugreifen.
    »Verzeihen Sie mir, Madame«, sage ich auf französisch, »Sie machen einen kleinen Übersetzungsfehler. Der Inder hat zwar gesagt:
I am a highwayman
, aber das Wort hat im Englischen eine ganz andere Bedeutung, als Sie ihm geben. In Wirklichkeit bedeutet der Satz: Ich bin ein Wegelagerer.«
    »Und Sie glauben wirklich, daß der Inder ein Bandit gewesen ist?« fragt Madame Murzec mit entrüstetem Blick.
    Ich habe keine Zeit zu antworten, Madame Edmonde kommt mir zuvor.
    »Das ist doch völlig klar!« schreit sie laut. »Er hat alles mitgehen lassen, dieser Schurke, sogar unsere Uhren! Und vergessen Sie nicht, daß er uns mit der Pistole in Schach gehalten hat und die Kleine beinahe abgeknallt hätte. Stimmt’s, mein Süßer?« Bei den letzten Worten legt sie ihre kräftige Faust auf Robbies zarte Finger.
    Sie erfährt indessen von dieser Seite keine Ermutigung. Robbie lächelt ihr liebenswürdig zu, schüttelt aber den Kopf.
    »Das kannst du doch nicht abstreiten, Süßer«, sagt Madame Edmonde mit heftig wogendem Busen. »Ich sehe den Typ noch vor mir, er hat in seiner Kunstledertasche alles mitgenommen!«
    Die Murzec stößt einen Schrei aus, und alle Augen richten sich auf sie.
    »Ah, jetzt erinnere ich mich!« sagt sie. Sie hat die Augen geschlossen, ihr Gesicht ist verkrampft.
    »Woran erinnern Sie sich?« fragt Robbie sanft.
    Sie schlägt die Augen auf.
    »An die Inder, wie sie an dem See entlanggehen.«
    Sie schweigt.
    »Aber ja«, sagt Robbie sanft.
    Er sieht Blavatski an und hebt beschwörend die Hand, um seinem möglichen Eingreifen zuvorzukommen. Dann fährt er fort, leise und behutsam, als fürchtete er, den Faden zu zerreißen, der die Murzec mit ihren Erinnerungen verbindet.
    »Die Inder gehen vor Ihnen. Sie sehen sie von hinten, nicht wahr? Im Schein der Taschenlampe zeichnen sich schwarz ihre Umrisse ab. Sie sehen deutlich den Turban des Inders und die Kunstledertasche in seiner Hand. Er geht am Ufer des Sees entlang.«
    »Es ist aber kein gewöhnliches Ufer«, sagt die Murzec, deren gelbliches Gesicht völlig erstarrt ist. »Es ist ein Quai.«
    »Und in einem bestimmten Moment hat der Inder die Taschenlampe nach rechts geschwenkt, und Sie haben das Wasser gesehen?«
    »Ich habe das Wasser und den Quai gesehen. Das Wasser war schwarz.«
    Sie schweigt erneut.
    »Und weiter?« fragt Robbie leise.
    »Er ging dicht am Wasser entlang.«
    »Am Rande des Quais?«
    »Ja, am Rande des Quais. Er ließ die Kunstledertasche über dem Wasser pendeln.«
    Wieder Schweigen. Chrestopoulos mit seinen Karten in der Hand hebt den Kopf und erstarrt.
    »Was dann?« fragt Robbie.
    »Dann hat er den Arm ausgestreckt und die Hand aufgemacht. Die Tasche ist hinuntergefallen.«
    »Ins Wasser?«
    »Ja, ins Wasser.«
    »Das stimmt nicht! Das stimmt nicht!« brüllt Chrestopoulos und springt mit den Karten in der Hand auf. »Sie lügen! Sie haben das alles nur erfunden!«

KAPITEL 11
    Als erster reagiert nicht Blavatski, wie man hätte erwarten können, sondern Caramans. Mit aufgeworfener Lippe sagt er in jenem förmlichen Ton, der auf mich stets wie eine Parodie seiner selbst wirkt: »Sie verletzen die Gebote der Höflichkeit, Monsieur. Ich möchte Sie bitten, sich wieder zu setzen.«
    Und Chrestopoulos, der anscheinend ein für allemal beschlossen hat, im eigenen Interesse Rücksicht auf Caramans zu nehmen, sagt keinen Mucks, setzt sich wieder hin, vertieft sich in seine Karten und verschwindet völlig aus der Diskussion, in die er so polternd eingebrochen ist. Aber der Streit geht ohne ihn weiter, mit einer um so erstaunlicheren Oberflächenlogik, als deren Finalität überhaupt nicht erkennbar ist. Denn was soll diese Auseinandersetzung bezwecken? Wohin führt sie? Welchen Nutzen hat sie? Ist es in diesem bestimmten (oder unbestimmten) Moment unserer Reise angebracht, ausgerechnet über so etwas zu diskutieren?
    »Madame«, sagt Caramans, an die Murzec gewandt, »meinerseits identifiziere ich mich nicht mit den gegen Sie erhobenen Beschuldigungen. Aber Ihr Bericht setzt mich in Erstaunen.«
    Die Murzec wendet ihm den Kopf zu, antwortet aber nicht. Gewiß, ihr mageres gelbliches Gesicht wirkt müde. Sie hat soeben eine große Anstrengung unternommen, um sich an eine Einzelheit zu erinnern, die ihr unter dem Eindruck des Entsetzens entfallen war. Wie aber soll man sich erklären, daß sie plötzlich so passiv und friedfertig wird, daß sie Caramans’ Unterstellung widerspruchslos hinnimmt? Denn wenn ein

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