Madru
Berufung zum Sternensohn verdankte. Er blieb stehen vor einer großen, mit farbigen Kreiden auf die nackte weiße Wand gemalten Darstellung des Lebensbaumes der Kabbala. Als Montigorr merkte, wie sehr ihn diese Zeichnung beschäftigte, setzte er gleich zu einem Vortrag an. Er sprach von der Weltferne Gottes. Verwundert hörte Madru jemand von ganz anderen Göttern reden als denen, die zu verehren man ihn in seiner Kindheit gelehrt hatte. Von der Weltferne Gottes, wie gesagt, sprach Montigorr. Er unternahm einen Exkurs in die Gnosis, berichtete von dem Demiurg, der sich selbst für Gott gehalten habe, von den Arkonen, die er schuf, damit sie ihm hülfen bei seiner Schöpfung. Er stellte sehr anschaulich dar, wie dieser Demiurg nicht die leiseste Ahnung mehr von jener Gottheit gehabt habe, von der er einst abgefallen sei und kennzeichnete das Schicksal des Menschen als deswegen besonders tragisch, weil er sich in der Schöpfung eines in einem Irrglauben befangenen Schöpfers vorfinde. Darauf kam er wieder auf die Kabbala zu sprechen, erklärte die Bedeutung der zehn Kreise und zweiundzwanzig Pfade hin über den Heiligen Baum. Der Baum sei die Hoffnung. Wer die Pfade und Wege gehe, steige wie auf einer Leiter zu jenem weltfernen Gott, suche auf dem Grund der Worte nach jenem Wort, mit dem sich die Sicht auf den verborgenen, weltfernen Gott wieder eröffne.
Der Mensch, so faßte er seine Sicht der Dinge noch einmal zusammen, sei ein Gefangener, aber mit Hilfe des Wissens, auch und gerade des geheimen und verborgenen Wissens, sei er in der Lage, seinem Gefängnis zu entkommen ... hin zum wahren Ziel aller menschlichen Erkenntnis, zu dem im Licht verborgenen Gott. Bei solch grundsätzlichen Unterweisungen war die Zeit bis zum Abendessen vergangen, und nun sah Madru zum ersten Mal die Schwarze Köchin. Sie hatte tiefschwarze Haut, war hochgewachsen und trug zudem noch eine hochgetürmte Frisur, die in einen kunstvoll geschlungenen Turban aus schöngemustertem Stoff verpackt war. Ihre wulstigen Lippen und ihre großen Augen gaben ihr etwas Träges. Und immer wenn Montigorr gerade einmal nicht hinsah, warf sie Madru einen lächelnden Blick zu, der ihn bis in die kleine Zehe erregte. Was ihre Kochkünste anging, so hatte der Magier nicht übertrieben. Es gab kein Gericht, von ihr gekocht, das nicht ein Wunder gewesen wäre, ein Freudenfeuerwerk, nicht nur zur Füllung des leeren Magens, sondern Tröstung und Lust, also ein Küchlein für die Seele.
Doch die Schwarze Köchin stand nicht nur am Herd und trieb dort ihren Zauber. Sie putzte und scheuerte auch Montigorrs alt Hütte derart, daß immer Glanz in ihr war. Nicht jener fragwürdige Glanz, den ein weiblicher Putz- oder Scheuerteufel zu erzen gen vermag, sondern ein mit Lebendigkeit verbundener Glanz, Sobald die Sonne untergegangen war, hieß Montigorr die Schwarze Köchin in ihre Kammer gehen, die er nicht nur mit dem Schlüssel verschloß, vielmehr sah Madru zufällig einmal, wie der Magier auf die Türschwelle auch noch einen Drudenfuß malte und ein Sprüchlein darüber hin wisperte. Was er denn da mache, fragte er ihn. Ach, erwiderte der Magier, er wolle nur ganz sicher gehen, daß über Nacht die Schwarze Köchin aus ihrem Zimmer weder herauskönne, noch daß jemand in ihre Kammer hineingelange. Die Schwarze Köchin schien nun, bei allem Stolz, der von ihrer Erscheinung ausging, gegenüber Montigorr die Dienstfertigkeit und Unterwürfigkeit in Person. Sie hätschelte ihn, war darum besorgt, alle Unannehmlichkeiten des Alltags von ihm fernzuhalten, damit durch Verstimmungen dieser Herkunft nicht seine Zauberlaune leide. Auf seine Befehle und Anweisungen gehorchte sie immer ohne jegliche Widerrede, ja, es schien ihr auch nichts auszumachen, daß er sie Abend für Abend in jene Kammer einschloß, die sie erst am Morgen wieder verlassen konnte, wenn er den Schlüssel herumgedreht und über Fensterbrett und Türschwelle den aufhebenden Zauberspruch gemurmelt hatte.
Unterdessen war Madru von Montigorr in die Grundlagen der Magie eingeführt worden, und was er da hörte, nahm seine Aufmerksamkeit ungeteilt in Anspruch. Er sah die Schwarze Köchin, sah, wie sie ihm immer noch, sofern ihr Herr und Meister nicht hinschaute, jenes bis in die große Zehe in ihm wirksame Lächeln zuwarf ... und sah sie auch wieder nicht, weil ihn die Magie in ihren Bann geschlagen hatte. Er wußte unterdessen, daß es außer der materiell-physikalischen Welt, die die Kabbalisten »Assiah«
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