Madru
einen dünnen schwarzen Stab hervor, der Madru unterwegs schon aufgefallen war, ohne daß er wußte, was es mit ihm auf sich hatte. Ase hielt den Stab vor sich in Brusthöhe und ging mit bedächtigen Schritten weiter auf die Feuerstelle zu. Sobald die Männer dort des Stabes ansichtig wurden, trat eine merkwürdige Veränderung bei ihnen ein. Sie schienen zu erstarren. Ihr Lachen verstummte. Einem jeden erstarb das Wort auf den Lippen. Der Anführer kam Ase entgegen. Unterwürfig jetzt, wie ein geprügelter Hund.
»Verzeiht, Herr«, sagte er, »wir wußten nicht, daß Ihr ein Bote des Herrschers seid.«
»Wer seid Ihr? Und was geht hier vor?«
»Ich heiße Esnir«, sagte der Mann, »bei mir ist mein Bruder Orn. Die anderen sind Männer aus unserem Dorf.«
»Wer hat Euch geheißen, die Waffen zu ergreifen?«
»Nicht der Fürst des Waldes, wenn Ihr das meint. Aber ehe Ihr mich und uns verurteilt, hört Euch erst an, was geschehen ist. Es sind Männer aus dem Süden gekommen. Sie haben unser Dorf überfallen. Sie haben versucht, Felle von uns zu erpressen. Mein Vater Nogal war ein Zaubertrommler. Er hat versucht, sie mit bösen Bildern abzuwehren. Aber was kann das schon helfen gegen Männer, die Eisen tragen? Sie haben ihn getötet. Da haben wir …« Er stockte.
»Ihr habt sie totgeschlagen.«
»Was blieb uns anderes übrig, Herr?«
»Ihr beschuldigt die Fremden, Felle von Euch erpreßt zu haben. Aber ihr wart doch auch auf Beute aus … oder? Ihr wolltet ihre Kettenhemden. Ihr wolltet Schwerter und Lanzen. Ihr wart ganz verrückt nach Eisen«, sagte Ase.
»Wir sind Sieger geblieben, Herr, und als Sieger haben wir das Recht auf die Beute.«
»Sieger für wie lange?«, entgegnete Ase scharf. »Was meint Ihr, Esnir, was wohl geschehen wird, wenn der König im Süden merkt, daß seine Männer nicht zurückkommen? Ich will es Euch sagen, da Ihr offenbar nicht fähig seid, selbst soweit zu denken. Er wird mehr Männer schicken. Ein ganzes Heer. Und seine Soldaten werden mit Euch so verfahren wie ihr mit den Fremden verfahren seid.« Er machte eine Pause und ging mit gesenktem Kopf auf und ab. »Ich kannte Euren Vater, Esnir«, fuhr er fort. »Er war ein kluger Mann. Es bekümmert mich, daß er hat sterben müssen. Aber Ihr werdet nicht behaupten wollen, daß er Euch den Rat gab, die Fremden anzugreifen.«
»Nein, Herr. Wie ich Euch schon sagte, er wollte sie mit Trommeln abwehren. Aber hat sein Trommeln etwa verhindern können, daß sie ihn töteten? Wir haben uns geschworen, uns in Zukunft auf unsere Schwerter und Speere zu verlassen, statt mit Zauber gegen die Fremden zu kämpfen.«
»Wenn der Weg des Waldes, den Euer Vater gegangen ist, nicht dazu taugt, um die Fremden abzuwehren«, sagte Ase, »werdet Ihr mit Euren Waffen erst recht nichts ausrichten.«
»Dessen sind wir nicht länger so sicher.«
»Es ist weit gekommen«, sagte Ase erbittert, »nicht nur, daß ihr euch herausnehmt, auf eigene Faust zu den Waffen zu greifen, ihr wagt es auch noch, statt die Trauerriten zu vollziehen, nach einem solchen Massaker ein Fest zu feiern.«
Seine Männer hätten ihn dazu gedrängt, entschuldigte sich Esnir. Sie seien so stolz auf ihren Sieg gewesen.
»Bedenkt doch, Herr«, mischte sich jetzt ein anderer der Männer ein, »dreißig Soldaten in Kettenhemden und ein Ritter. Und wir waren nur zehn.«
»Dann seid ihr wohl auch noch stolz darauf, daß die Leichen der Fremden immer noch unbestattet dort drüben im Gras liegen. So nahe am Bannwald. Erschlagen habt ihr die Männer doch schon gestern abend.«
»Das stimmt, Herr, aber woher wißt Ihr das?« fragte Esnir sehr verstört.
»Sie stanken uns schon entgegen, als wir kamen. Also los! Worauf wartet ihr noch? Das Fest ist zu Ende. Sorgt dafür, daß dieser Platz von all dem Blut, das ihr vergossen habt, gereinigt wird.« »Geben wir's doch zu«, sagte Orn, der bisher etwas abseits von den anderen gestanden hatte, »wir haben uns auch gefürchtet, Herr. Deswegen sind die Toten noch nicht begraben.« Er wandte sich an seinen Bruder: »Du selbst hast gestern abend gesagt, die Luft sei voll schlechter Vibrationen. Deswegen sind wir ja auch erst heute zu dieser Siegesfeier zusammengekommen.« »Immerhin habt ihr euch nicht gefürchtet, die Toten auszurauben«, stellte Ase fest.
Er drehte sich um und kam zu Madru zurück. Esnir folgte ihm. »Wir gehorchen Eurem Befehl«, sagte er kleinlaut, »wir tun alles, was Ihr verlangt. Wir waren verwirrt. Wir sind einfache
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