Madru
jetzt auch in den , Adern. Sie kreiste mit Madrus Blut, während die Nadelstiche auf der Haut noch heftiger schmerzten. Unangenehm aber war es nur für einen ganz kurzen Augenblick. Dann war es Madru so, als vergehe all seine Müdigkeit in der Hitze. Irgendwann steckte Ase den Kopf zur Tür herein und hieß ihn, herauszukommen, rasch zum See zu laufen und dort unterzutauchen.
Madru war erstaunt, daß ihm weder die Nachtluft noch das Wasser eigentlich kalt vorkamen. Es war, als sei seine Haut mit einer Schutzschicht aus Wärme umgeben, hinter der er die Kühle nur als etwas Fernes ahnte. Noch zweimal danach ließ ihn Ase den Wechsel zwischen Erhitzung und Abkühlung wiederholen. Dann gab er ihm ein großes Tuch zum Abtrocknen, das er in der größeren Hütte gefunden haben mochte, hieß ihn ans Feuer kommen und sich dort hinkauern. Er nahm Madru das Tuch ab und hängte ihm ein Schaffell mit langer Flocke um, das innen mit Moos ausgefüttert war.
»Wie fühlst du dich?« fragte ihn Ase.
»Wach und erschöpft zugleich.«
»Sieh vor dich ins Feuer.«
In dem kleinen Steinkreis, der die Feuerstelle einfaßte, war jetzt nur noch glosende Glut.
»Was siehst du?«
»Ich weiß nicht«, sagte Madru unsicher.
»Ach, freilich weißt du es.«
»Die Glut eines Feuers.«
»Und du siehst doch wohl auch, daß im Steinkreis gegen alle vier Himmelsrichtungen hin größere Steine liegen. «
»Ja, jetzt erkenne ich es.«
»Präg dir die Lage der Steine und ihr Aussehen gut ein und dann sieh mich an.«
Als Madru seinen Blick hob und zu Ase, der ihm genau gegenübersaß und leise zu singen begonnen hatte, hinsah, floß eine große Müdigkeit durch seinen Körper. Es war, als komme von hinten eine Gestalt, die ein Netz über ihn werfe; als gehe von den Schnüren des Netzes ein Kribbeln aus, das etwas in ihm lähmte. Madru sah Ases Augen seltsam überdeutlich und glänzend. Das Gesicht des Alten wurde immer mehr von wachsenden Schatten überwuchert. Je weniger von den übrigen Gesichtszügen zu erkennen war, desto gebannter starrte Madru auf die funkelnden Augen. Dann gab es einen Moment, da die Lichter nach rückwärts fort-wanderten, und als er ihnen nachschaute, fühlte er sich gezwungen, aufzustehen und ihnen zu folgen. Das führte ihn vor schwarze Pfützen, die größer und größer wurden, bis er zwei Teiche sah, deren Ränder sich gegeneinander hin öffneten. Ein Strudel quoll auf. Madru stürzte in das schwarze Wasser. Ein Sog zerrte ihn abwärts. Er meinte zu spüren, wie sein Herzschlag hinter ihm zurückblieb. Er sank und sank stehend, bis er endlich mit den Zehen Sand berührte. Dann ging er in die Hocke. Offenbar befand er sich in einer nächtlichen Landschaft, in einer schwarzen Wüste. Es war mäßig hell, wie nachts auf der Erde, wenn nur die Sterne in der Dunkelheit leuchten. Vor sich sah er wieder den Steinkreis, aber dort, wo vorhin die größeren Steine gelegen hatten, saßen jetzt Tiere. Im Osten eine Kröte, im Westen eine Elster, im Norden ein Dachs und im Süden ein Bär.
Der Bär erhob sich sofort auf seine Hinterbeine, kam auf ihn zu und umarmte ihn mit seinen gewaltigen Pranken. Madru war noch so verwirrt von dem, was er sah, daß er den Angriff des Bären, ohne zu reagieren, über sich ergehen ließ. Er spürte den Schmerz, als die Klauen des Tieres sich in sein Fleisch bohrten und den Biß der Zähne an seinem Hals. Sein Schädel schien zu bersten. Ein winziges weißes Wölkchen blieb über der Stelle seines Sterbens. Während der Bär immer mehr Fleisch aus seinem Körper riß und es auffraß, schwebte sein Bewußtsein in dem weißen Rauch, und er nahm alles wahr, was da vor sich ging.
Nachdem der Bär sich gesättigt hatte, schleppte er das Gerippe, an dem noch ein paar Fleischfetzen hingen, davon und verschwand in der Weite der schwarzen Wüste.
Ich bin tot, dachte Madru, der Bär hat mich getötet.
Er versuchte zu sprechen, aber die Worte gewannen keinen Laut. Erst jetzt regten sich die Kröte, die Elster und der Dachs.
Sie schienen über etwas miteinander zu beraten, und als sich der Junge anstrengte, verstand er auch, was sie sprachen.
»Ich werde sein Schlüsselbein finden«, sagte die Kröte.
»Ich spüre die Haut seiner Lippen auf«, sagte die Elster, »und alles übrige Fleisch.«
«Ich weiß, wo sein Herz liegt«, sagte der Dachs. »Der Bär hat es nicht gefressen.«
Sie machten sich davon und waren bald hinter dem Horizont verschwunden. Jetzt war das bedrückende Gefühl am
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