Madru
mußte. Madru wurde unruhig. Wo blieb Alissa? Ase hob seinen Bogen und der erste volle Akkord flog mit verlockender Klangfülle durch den Saal. Die anderen Musikanten fielen ein. Die Männer hoben die Frauen über die Tische, setzten sie im Gang ab, begannen auf der Stelle mit ihnen zu tanzen. Die Musik wurde immer rasender und toller. Der Fürst tanzte mit einer hübschen Sklavin. Der Erzdruide tanzte mit der Fürstin. Die beiden Fürstentöchter tanzten mit jungen Männern. Es gab niemanden im Saal außer den Musikanten und Madru, der nicht getanzt hätte. Ab und zu trat eine Frau zu ihm heran und fragte, ob er nicht auch tanzen wolle. Er schüttelte den Kopf. Er klammerte sich an das Versprechen, das er Alissa gegeben hatte.
Die Musik wurde immer wilder. Die Ausgelassenheit um ihn nahm zu. Ihn, der nie tanzen gelernt, der nie zuvor getanzt hatte, kribbelte es in den Zehen, zuckte es in den Armen. Der Rhythmus der Fiedler wurde jagend, ging ins Blut, stachelte ihn an, wie die anderen zu tanzen und zu toben. Dann begriff er, daß dies alles unter Zauber geschah, denn sonst hätte doch Ase, der Fürst, irgend jemand auf ihn zutreten und zu ihm sagen müssen: so geht das nicht, Madru; der Sternensohn muß tanzen.
Aber nichts dergleichen geschah.
108 All diese Menschen um ihn tanzten mit einer Hingabe und Selbstvergessenheit, die sie auf nichts anderes achten ließen. Sie wußten von nichts mehr als dem Tanz, und die Fiedler wußten von nichts mehr als dem Fiedeln. In Vergessenheit sich zu drehen, die Angst totzustampfen, sie aus den Gliedern zu schütteln, das wußten sie. Sonst nichts.
Madru aber stand still und wartete. Und dann sah er die beiden Frauen. Sie waren den Mittelgang entlang gekommen. Ein merkwürdig grelles Licht war um sie, und wen von den Tanzenden der Lichtschwall berührte, hielt sich die Hand vor die Augen und fuhr zuckend zurück.
Die größere von den beiden Gestalten glich mehr einem Baum als einem Menschen. Und doch konnte auch wieder kein Zweifel darüber bestehen, daß unter dem Kleid aus gelblichgrünen Erlen-blättern, das fast wie das Gefieder eines Vogels aussah, sich der Körper eines Mädchens verbarg. Wenn man genauer hinsah, erkannte man ihre nackten Brüste. Das teils dichter, teils lockerer abdeckende Blattwerk ließ wie zufällig ein Stück Haut an den Schenkeln frei, eine Linie an den Hüften, ein mit Sommersprossen gesprenkeltes Stück Schulter. Aber man dachte auch an ein Bündel frischer Zweige, die jemand mit einem Strohseil zusammengeschnürt hat, denn ein solches Seil umschlang den Körper der Baumfrau an der Taille wie ein Gürtel. Gespenstisch anzusehen war das Gesicht des Wesens. Bis auf die Augen, den Mund und die Nasenlöcher war es mit kalkigem Schlamm zugeschminkt und so jedes individuellen Zuges außer Kopfform und Blick beraubt. Neben dem Erlenmädchen aber stand eine häßliche Alte. Ihr Gesicht war rußverschmiert. Sie trug ein Kleid aus abgeschabten Maulwurfsfellen. An der einen Hand hielt sie die Erlenfrau, die sie Madru zuführte, in der anderen Hand hielt sie ein Triangel, das diesen grellen Glanz versprühte.
Die Alte sagte zu Madru: »Du hast Alissa den ersten Tanz versprochen, Sternensohn. Du hast Wort gehalten. Bravo! Wir haben uns verspätet … hier ist deine Tänzerin.«
Madru nahm Alissa in die Arme und tanzte mit ihr. Nur ein paar Schritte. Dann sagte sie: »Komm, wir wollen fort. Es ist nicht viel Zeit. Mola wird solange hier bleiben. Und diese Tänzer hier werden glauben, es sei nicht mehr Zeit verstrichen als ein Tanz.«
Sie faßte ihn bei der Hand und zog ihn mit sich fort. Er hörte hinter sich die Musik der Fiedler, aber durch sie hindurch auch die gleichmäßig schrillen Töne der Triangel.
Draußen vor der Großen Halle wollte Madru stehenbleiben. »Bist du es wirklich, Alissa? Oder werd ich von einem Zauber genarrt?« »Die anderen sind die Genarrten. Nun glaub es schon.« Sie nahm seine Hand und legte sie auf das Laub unter dem ihr Herz schlug. Sie liefen jetzt über eine Wiese zu einem Fluß hin, an dem Erlen standen. Sie lehnte an einem der Erlenstämme, als er herankam. »Es tut mir leid«, sagte sie, »daß so wenig Zeit bleibt. Aber ich wollte auf keinen Fall, daß du vergeblich gewartet hättest. Es ist sehr schwer, Zeit zu zaubern und Vergessen für so viele Menschen, wenn auch das Rauschmoos ein bißchen nachhilft. Wir werden uns lange nicht sehen, Madru.«
»Was ist geschehen?«
»Mola konnte es auch nicht erraten. Sie
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