Mächtig gewaltig, Egon - Jensen, J: Mächtig gewaltig, Egon
volle Ausbeute aus einer Vorstellung erhielt. Das war keine Anbiederung, aber die Leute im Zuschauerraum sollten ein gran-dioses Erlebnis haben.«
In der Schule hatte Ove den Lehrern Löcher in den Bauch gefragt, als Erwachsener konnte er Film- und Theaterregisseure zum Wahnsinn treiben. Es ging ihm um Sicherheit, er musste wissen, was der Regisseur wollte. Per Holst, Produzent des Oscar-gekrönten Films »Pelle, der Eroberer«, hatte gerade als Regisseur begonnen, als er 1973 die Hauptrolle in dem erotischen Thriller »Stunde des Abschieds« neben Bibi Andersson mit Ove Sprogøe besetzte: »Seine Arbeitsmethode war so, dass er ununterbrochen fragte: Und was passiert dann? Und was denkt er jetzt? Das waren gute und wichtige Fragen. Täglich, ja stündlich, mussten wir immer erst mal durch Oves Fragen, und ich hatte nicht immer eine Antwort auf alles.« Ove war kein Method Actor. Er lebte nicht als Landstreicher auf der Straße, bevor er einen Landstreicher spielte, und er war in seiner Freizeit nicht seine Figur. Er konnte es nicht leiden, wenn ein Schauspieler wie Rod Steiger so gründlich an seinem Apfel nagte, dass man sehen konnte, er hatte 800 Kerne. »Das ist doch reine Selbstbefriedigung bei diesen Schauspielern. Das ist Chaplin nie passiert«, kommentierte Sprogøe trocken. Ebenso wenig war er mit Komikern wie Peter Sellers einverstanden, die riskierten, »auf Grund zu laufen, weil er zu viel von den Wirkungsmitteln wusste, statt auf die Situation zu vertrauen.«
Als Schauspieler hielt er immer einen kleinen Abstand zu seinen Rollen, um so ihren Charakter besser schildern zu können. Er hielt die Rolle am ausgestreckten Arm, damit man beides gut erkennen könnte, sowohl Ove als auch den Charakter, den er spielte.
Es war, als würde er zu den Zuschauern sagen: Schaut mal alle her, jetzt mach ich gleich meine Nummer. Macht Ihr mit?
Einmal wurde Ove gefragt, wie sehr ihn Brechts Verfremdungstechnik inspirierte, also eine Form von Theater, die nicht unbedingt die Gefühle ansprechen, sondern die Leute wachrütteln und aus ihren gewohnten Vorstellungen bringen will, indem sie veranschaulicht, dass es sich um eine Rolle handelt. Darauf erwiderte Ove, dass es nicht unbedingt Brecht gewesen sei, der das erfunden habe. Alle guten Schauspieler hätten von jeher so gearbeitet. Selbst der große Schauspieler Poul Reumert, der Brecht sicher nicht so richtig mochte, sei ein Verfremder gewesen.
Ove ließ sich von allem und jedem inspirieren, von abstrakten Malern über geniale Fußballspieler, spielende Kinder und Tiere, die ihn Körpersprache lehrten. Der unerschütterliche Glaube der Kinder an Spiel, Illusion und Fantasie, ihr eigenes Universum sei ganz nah an der Schauspielerei. Raskolnikow, Breakdancer an einer Straßenecke, Michelangelos geniale Sixtinische Kapelle und die schönen dänischen Frauen auf der Fußgängermeile. Überall war Inspiration. Aber auch Transpiration. Die Vorbereitung auf eine Rolle kostete Blut, Schweiß und Tränen und war zeit- und kraftaufwendig. Ove begann meistens, indem er all die Biografien der historischen Persönlichkeiten las, die er spielen sollte. Als seine Kinder kurz nach seinem Tod die Bibliothek aufräumten, fanden sie haufenweise Bücher über Hitler, Napoleon, Galilei, Robespierre und viele andere.
Der Regisseur Gabriel Axel ist noch heute erstaunt, auf welche Weise Ove in der Komödie »Das verrückte Paradies« von 1962 seinen willensstarken Staatschef Simon zum Leben erweckte: »›Meinst du nicht auch, dass Simon Seemann war?«, fragte Ove. ›Ja‹, antworte ich, ›denn die Insel ist ja von Meer umgeben.‹ – ›Meinst du nicht auch, er hat sich für Napoleon interessiert?‹, fragt Ove weiter. ›Ja, vielleicht hat er ein Buch über Napoleon gehabt.‹ Ich ging auf all seine Fragen ein und unterstützte ihn, und er verwendete die einzelnen Fakten als eine Art innere Krücke, um sich in Simon zu verwandeln. Niemand im Kino konnte sehen, wovon er inspiriert war oder was er hinter der Maske tat, aber er hatte etwas, auf das er sich stützen konnte. Für einen Mann wie ihn mit System und Selbstvertrauen war das enorm wichtig.«
Ove hatte immer viel gefragt und nie viel von sich selbst preisgegeben. Natürlich fragte er aus aufrichtigem Interesse, aber er lauerte dabei auch auf Inspiration, sind sich seine Kollegen sicher. Wie ein Mann in einem vollbesetzten Zugabteil, der mit einem Pokerface stumm in der Ecke sitzt und die anderen beobachtet.
Anfang der
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