Maechtig, mutig und genial
Clorinda Matto de Turner, seit 1889 ihr Roman
Aves sin nido
(dt.: Vögel ohne Nest) erschien. Dieser Roman, der oft als der erste indigenistische Roman in Lateinamerika bezeichnet wird, schildert die Lebenswelt der indigenen Bevölkerung der Anden »wahrheitsgetreu«. Dargestellt werden nicht nur Armut und Ausbeutung, sondern auch korrupte weltliche und geistliche Amtsträger. Die beiden Hauptprotagonisten müssen denn auch am Ende feststellen, dass sie als illegitime Kinder eines Priesters Halbgeschwister sind. Auch in ihrem zweiten Roman
Ìndole
(dt.: Wesensart), der 1891 erschien, beschreibt Clorinda Matto den wenig zölibatären Lebensstil der peruanischen Priester und seine Auswirkungen auf die Frauen. In ihrem dritten Roman
Herencia
(dt.: Erbe), der in der Stadt angesiedelt ist, greift die Schriftstellerin dann erstmals unverblümtund ohne den Umweg über die Exotisierung die weibliche Sexualität auf. Doch solche Themen durfte man im konservativ-klerikalen Peru des ausgehenden 19. Jahrhunderts nicht ungestraft behandeln, schon gar nicht als Frau. Das Maß schien ihren Gegnern voll, als die von Matto de Turner geleitete Zeitschrift
El Perú Ilustrado
1890 die »erotisch-laszive Bibelinterpretation« »Magdala« des brasilianischen Schriftstellers Henrique Coelho Netto veröffentlichte. Dieser behauptete, Christus habe sich sexuell zu Maria Magdalena hingezogen gefühlt. Der Erzbischof von Lima verbot daraufhin die Lektüre und den Erwerb der Zeitschrift und exkommunizierte kurz darauf die Herausgeberin. Im katholisch geprägten Arequipa zerstörte ein vom dortigen Erzbischof aufgewiegelter Mob ein Bild der ehemaligen
La-Bolsa
-Redakteurin und in ihrer alten Heimat Cuzco wurden Matto de Turners Bücher auf Scheiterhaufen verbrannt. Im Juli 1891 trat sie daraufhin als Chefredakteurin von
El Perú Illustrado
zurück.
Allerdings hatten die öffentlichen Diskussionen um
Aves sin nido
auch dafür gesorgt, dass der Roman ein großer Erfolg wurde und bald vergriffen war.
1892 gründete Clorinda Matto de Turner gemeinsam mit ihrem Bruder David eine eigene Druckerei, wo auch ihre neue Zeitschrift
Los Andes
produziert wurde. Hier beschäftigte sie nur Frauen.
Politisch bekannte sich Matto de Turner zur amtierenden Regierung der
constitucionalistas
, die das politische Geschehen seit 1886 bestimmten. 1895 kam es jedoch zu einer »demokratische Revolution« genannten Revolte unter dem klerikalen Nicolás de Piérola, dessen Anhänger ihr Haus und die Druckerei in Lima plünderten und zerstörten. Daraufhin verließ Matto de Turner im April Peru und lebte bis zu ihrem Tod 1909 im Exil in Buenos Aires. Dort arbeitete sie für verschiedene Zeitungen und als Lehrerin. Gleich nach ihrer Ankunft in Argentinien wurde sie – als erste Frau – in den
Ateneo de Buenos Aires
aufgenommen. Von 1896 bis 1908 führte sie erneut eine bekannteLiteraturzeitschrift,
El Búcaro Americano
. Gleichzeitig begann sie, sich in der Frauenbewegung zu engagieren. Sie reiste mehrfach nach Europa, nach Frankreich, Deutschland, Spanien, Italien und England, wo sie Vertreterinnen der bürgerlichen Frauenbewegung traf und mit ihnen diskutierte. Den ersten internationalen »weiblichen Kongress«, der 1910 in Buenos Aires stattfand und als Beginn der feministischen Bewegung im
Cono Sur
gilt, hat Clorinda Matto de Turner nicht mehr erlebt. Sie starb am 25. Oktober 1909 im bonarensischen Exil. Erst 1924 rehabilitierte ein Beschluss des peruanischen Kongresses die Schriftstellerin und Verlegerin, woraufhin ihr Leichnam nach Peru überführt und dort bestattet wurde.
Ausgewählte Literatur:
Gabriele Küppers:
Peruanische Autorinnen vor der Jahrhundertwende. Literatur und Publizistik als Emanzipationsprojekt bei Clorinda Matto de Turner
. Frankfurt am Main u. a. 1989.
GABRIELA MISTRAL
CHILE, 1889–1957
Lateinamerika gilt als der Kontinent der Machos, und auch der erste Boom seiner Literatur in den 1960er und 1970er Jahren suggerierte dies. Dabei war es eine Frau, der erstmals in der Geschichte des Subkontinents der Literaturnobelpreis verliehen wurde – der chilenischen Dichterin und Essayistin Gabriela Mistral. Ihren Biographen gibt die unkonventionelle Weltbürgerin und Intellektuelle bis heute so manches Rätsel auf.
Sie hieß eigentlich Lucila de María del Perpetuo Socorro Godoy Alcayaga und wurde am 7. April 1889 in der Anden-Kleinstadt Vicuña, gut 400 Kilometer nördlich der Hauptstadt Santiago, als Tochter von Juan Jerónimo Godoy und
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