Maechtig, mutig und genial
Hängen des Vulkans Popocatépetl etwa 60 Kilometer entfernt vom heutigen Mexiko-Stadt geboren wurde. Ihrer Mutter, Isabel Ramírez de Santillana, war eine spanischstämmige Mexikanerin, ihr Vater ein baskischer Marineoffizier namens Pedro Manuel de Asbaje y Vargas Machuca. Die beiden waren nicht verheiratet, ein Umstand, der vielleicht mit der Tatsache zusammenhing, dass Militärangehörige nicht heiraten durften ohne eine Genehmigung ihrer Vorgesetzten, die mühselig in Spanien einzuholen war. Jedenfalls verschwand der Vater, mit dem die Mutter nochzwei weitere Kinder hatte, aus Nepantla und dem Leben von Juana Inés, als diese vier oder fünf Jahre alt war. Ein zweiter spanischer Offizier, Diego Ruíz Lozana, ersetzte den Vater, und Juana Inés bekam drei weitere Halbgeschwister. Später sollten Biographen aus der nichtehelichen Geburt Juanas eine Reihe von Thesen ableiten, die jedoch eher auf den Moralvorstellungen des 19. Jahrhunderts als auf denen der kolonialen Gesellschaft beruhen. Nichteheliche Geburten waren zwar Normenverstöße und stellten einen gewissen Makel auch für die Kinder dar, waren jedoch selbst in der Oberschicht gar nicht so selten. So verstieß denn auch Juanas Großvater seine Tochter nicht, als diese sich einen neuen Lebenspartner suchte, sondern bot ihr die Nutzung seiner Ländereien im benachbarten Panoayán an. Damit erhielt Juana Zugang zu der offenbar großen Bibliothek ihres Großvaters. Hier stillte die junge Juana Inés ihre Wissbegierde, obwohl diese von der Familie zunächst nicht besonders gefördert wurde, denn Bildung für Frauen – zumal, wenn diese über die Lektüre von frommen Schriften hinausging – galt als unnötig, ja, als gefährlich, da sie zu Hochmut und Aufmüpfigkeit verleiten könnte.
Juana Inés musste denn auch verschiedene Listen anwenden, um ihre Ziele zu erreichen. Als sie etwa drei Jahre alt war, begleitete sie ihre ältere Schwester zu einer
amiga
und überredete diese, zunächst unter falscher Altersangabe, auch ihr das Lesen beizubringen.
Amigas
waren Frauen, oft Witwen, die in ihren Häusern privaten Unterricht erteilten. In der eingangs zitierten, berühmt gewordenen Rechtfertigungsschrift gibt Sor Juana weitere Beispiele für ihren ungeheuren Wissensdrang und die Schwierigkeiten, die sie zu überwinden hatte, um ihn zu stillen. So schnitt sie sich die Haare ab, um ihren Lernfortschritt in Latein zu kontrollieren. Diese damalige Gelehrtensprache lernte sie nach wenigen Unterrichtsstunden autodidaktisch. »Als ich sechs oder sieben Jahre alt war und schon lesen und schreiben konnte und auch die Hand- und Näharbeiten, die man den Mädchen beibrachte, beherrschte, hörteich, dass es in der Hauptstadt eine Universität und Schulen gab, an denen man die Wissenschaften studieren konnte. Kaum hatte ich davon erfahren, begann ich meine Mutter mit lästigen Bitten und ständigem Betteln zu bedrängen, meine Kleider gegen Knabenkleider auszutauschen und mich in die Hauptstadt zu ihren Verwandten zu schicken, damit ich die Universität besuchen könne.« Schließlich musste die Mutter nachgeben und schickte sie mit etwa acht zu ihrer in der Hauptstadt lebenden Schwester. Genauere Angaben über die Zeit dort fehlen, vielleicht aber schlich sich das junge Mädchen tatsächlich in Männerkleidern in die Universität ein. Auf jeden Fall lernte Juana in dieser Zeit weiter, begann aber auch, Gedichte und Theaterstücke zu schreiben. Der Ruf der ungewöhnlichen Gelehrsamkeit der jungen Frau verbreitete sich offenbar rasch, ein Umstand, der aber auch Probleme mit sich bringen konnte und der Familie offenbar mehr Unbehagen als Stolz bereitete. So fügte es sich gut, dass im Jahr 1664 ein neuer Vizekönig samt Familie und Gefolge nach Mexiko kam. Das Ereignis bot Anlass für zahlreiche Feierlichkeiten, auf denen kreolischen Familien auf sich aufmerksam machen und ihre heiratsfähigen Töchter bei Hofe einführen konnten. Die 17-jährige Juana Inés, die nicht nur gebildet, sondern auch schön war, zog denn auch die Aufmerksamkeit der Herrscherfamilie auf sich und fand im Gefolge der Vizekönigin einen Platz bei Hofe. Auch der Vizekönig war offenbar fasziniert von ihr und veranstaltete einen wissenschaftlichen Wettstreit mit Professoren der Theologie, Mathematik und anderen Wissensgebieten, in dem Juana brillierte. Dank der Protektion des Hofes konnte sich Juana weiter ihren Studien widmen, musste aber auch an den geselligen Veranstaltungen teilnehmen und schrieb
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