Maechtig, mutig und genial
hieß es jahrzehntelang in Argentinien über Ernestina Herrera de Noble. Dies war nicht nur der Tatsache geschuldet, dass Forbes ihr Vermögen auf eine knappe Milliarde Dollar schätzt (über viele Jahre war es noch höher). Wer über sie ein kritisches Wort verlor, hatte auch fast jegliche Chance auf eine journalistische Karriere verspielt. Und selbst heute, nachdem die Großmütter der Plaza de Mayo 2002 mit dem Vorwurf an die Öffentlichkeit getreten sind, Herrera de Noble habe ihre beiden Kinder Marcela und Felipe 1976 unter der Militärdiktatur (1976–1983) illegal adoptiert, und die Justiz gegen sie ermittelt, fassen die meisten Presseorgane sie noch immer mit Samthandschuhen an. Selbst die besonders sensationslüsterne argentinische Regenbogenpresse veröffentlicht nur wenige von ihr autorisierte Fotos, die meist dann entstehen, wenn sie einmal im Jahr den von ihr ausgelobten
Clarín
-Literaturpreisverleiht. Zwar wird gelegentlich über ihre Liftings, die Zahl ihrer Pelzmäntel – es sollen 60 sein –, ihre in Paris maßgeschneiderten Kostüme oder ihre Urlaubsreisen im eigenen Jet spekuliert, doch über ihr Privatleben weiß man kaum etwas. Weil sie es so will.
Ernestina Herrera de Noble ist nicht nur Herausgeberin der mit gut 300 000 täglich verkauften Exemplaren größten überregionalen argentinischen Tageszeitung
Clarín
(dt.: Signalhorn), sie hält auch das größte Aktienpaket an der
Grupo Clarín
. Zu dem Medienimperium mit 16 000 Mitarbeitern gehören die Nachrichtenagentur
Diarios y Noticias
(DyN), das im Mai 2011 aus der Taufe gehobene Boulevardblatt
Muy
, das Gratis-Blatt
La Razon
, die Fußball-Tageszeitung
Olé
, die beiden Regionalblätter
Los Andes
und
La Voz del Interior
, drei Frauenzeitschriften, über ein Dutzend Fernsehkanäle, darunter der offene Kanal
Canal 13
, dessen Nachrichtensendung die meistgesehene im Lande ist,
Radio Mitre
, der Internet- und Kabelbetreiber
Cablevisíon
, ein Schulbuchverlag, eine Privatpost sowie 49 Prozent Anteile an der Papiermühle
Papel Prensa
. Letztere hat auf dem argentinischen Markt fast eine Monopolstellung inne.
Macht und Vermögen waren Ernestina Laura Herrera nicht in die Wiege gelegt, als sie 1925 in Buenos Aires als eines von fünf Kindern des Ehepaares Juan Herrera und María del Carmen Morales das Licht der Welt erblickte. Über ihre Familie ist nur wenig bekannt, man weiß lediglich, dass Ernestina, die damals noch Laura gerufen wurde, gemeinsam mit ihrer Schwester Carmen Tanzunterricht nahm und ab 1946 im Flamenco-Lokal
El Tronio
, Avenida Corrientes 526, im Herzen von Buenos Aires auftrat. Nicht weit davon entfernt, in der Calle Moreno 840, hatte ein Jahr zuvor die Tageszeitung
Clarín
ihre Pforten geöffnet, und nach Feierabend zog die Belegschaft gern in das Flamenco-Lokal. Und dort wurde der Gründer und Herausgeber des
Clarín
, der Journalist Roberto Noble (1902–1969) auf Ernestina Herrera aufmerksam, zumindesthat dies der Anwalt und langjährige
Clarín
-Redakteur Pablo Llonto herausgefunden, der 2003 in einer unabhängigen Verlagskooperative unter dem Titel
La Noble Ernestina
(dt.: Die noble Ernestina) die bisher einzige, allerdings nicht autorisierte Biographie der Medienzarin veröffentlicht hat. Herrera de Noble selbst behauptet dagegen, sie habe ihren späteren Ehemann erst in den 1950er Jahren bei einer Bootsfahrt auf dem Río Paraná kennengelernt.
Noble brachte die 23 Jahre jüngere, zierliche Ernestina zunächst als Kassiererin in der Anzeigenabteilung seines Blattes unter, bis sie zu seiner Privatsekretärin avancierte. 1958 wurde Noble, obwohl bereits mit Ernestina liiert, Vater einer Tochter, Guadalupe, Lupita genannt. Wenig später heiratete er auf dem Papier in Mexiko deren Mutter, die Mexikanerin Guadalupe Zapata. Zwei Jahre später wurde die Ehe, die in Argentinien ohnehin nicht anerkannt wurde, wieder geschieden. Angeblich mit Rücksicht auf seine streng katholischen Eltern, die eine weitere Ehe des Sohnes nie akzeptiert hätten, heiratete der Verleger Ernestina Herrera erst 1967, als er bereits unheilbar an Krebs erkrankt war und sie ihn auf seiner Farm in der Provinz Córdoba pflegte. Sein Freund, der Journalist und Politiker Rogelio Frigerio, soll Noble zu dieser Eheschließung gedrängt haben, damit
Clarín
nach dessen Tod nicht in fremde Hände fiele. Ernestina, das wussten beide, war Noble treu ergeben und würde das Blatt in seinem Sinne weiter führen.
Nach der Heirat soll Noble auf Ernestinas Drängen
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