Maechtig, mutig und genial
bezifferten sie auf mindestens das Doppelte. Schon unter Néstor Kirchner war der Regierung von
Transparency International
und anderen internationalen Organisationen vorgeworfen worden, Wirtschaftsdaten zu manipulieren. So glauben auch viele Bürger nicht, dass die Zahl der Armen zwischen 2006 und 2009 von 21 auf gut elf Prozent gesunken ist, wie die Präsidentin und ihr Statistikamt behaupten, zumal die Elendsviertel der Städte keineswegs kleiner geworden sind und immer wieder von Hungertoten die Rede ist.
Zum schwersten Konflikt ihrer Präsidentschaft kam es 2008. Er zeigte einmal mehr, wie wenig dialog- und kompromissfähig die Präsidentin ist. Nachdem sie die Exportsteuern für Sojabohnen, Sonnenblumenkerne, Mais, Weizen und daraus hergestellte Produkte angekündigt hatte, riefen die vier Interessenverbände des Agrarsektors zu unbefristeten Streiks und weiteren Protestmaßnahmen wie Straßenblockaden auf. Angesichts des wachsenden Unmuts in der Bevölkerung über die Verknappung der Lebensmittel und den daraus resultierenden Preissteigerungen machte Kirchner zunächst die Steuererhöhungen für kleine und mittlere Betriebe rückgängig, was zu einer zeitweiligen Entspannung und zu neuen Verhandlungen zwischen Regierung und Agrarverbänden führte. Es kam jedoch wieder zu keiner Einigung und die Verbände nahmen den Streik wieder auf. Kirchner brachte trotzdem einen Gesetzentwurf im Parlament ein, der die Steuererhöhungen endgültig festschreiben sollte. Bei der Abstimmung im Senat kam es zu einem Patt, weil sich Senatspräsident Julio Cobos, der auch Cristina Kirchners Vizepräsident war, entschied, mit nein zustimmen und das Gesetz scheitern zu lassen. Einen Tag später fuhr die Regierung die Exportsteuern wieder auf den Stand von 2007 zurück. Die Agrarverbände erklärten daraufhin den Konflikt für beendet. Das Verhältnis zwischen Kirchner und ihrem Vizepräsidenten war jedoch zerrüttet. Die beiden sprachen bis zum Ende der gemeinsamen Amtszeit kaum noch ein Wort miteinander. Nach dem Agrarkonflikt hatten nur noch rund 30 Prozent der BürgerInnen ein positives Bild von Cristina Kirchner. Direkt nach ihrem Amtsantritt waren es 51 Prozent gewesen.
Während des Konflikts über die Agrarexportsteuern kam es auch zum Bruch zwischen Kirchner und der
Clarín
-Gruppe, dem mächtigsten Medienkonzern des Landes ( S. 95 ). Nachdem die
Clarín
-Gruppe jahrelang auf Seiten der Kirchners gestanden hatte, wandte sie sich nun aus politischen Eigeninteressen von ihnen ab, worauf das Ehepaar Kirchner seinerseits zum Kampf gegen die »Oligopolstellung« der
Clarín
-Gruppe blies. Im Oktober 2009 präsentierte Cristina Kirchner ein neues Mediengesetz, demzufolge die
Clarín
-Gruppe Teile des Konzerns veräußern muss, um die Pressekonzentration zu verringern. Kritiker des Gesetzes werfen Kirchner vor, es ginge ihr nicht um mehr Pressefreiheit, sondern darum, die Medien zu kontrollieren. Man hört auch immer wieder, Investoren aus dem Kirchner-Lager wollten Teile des
Clarín
-Konzerns aufkaufen, um dafür zu sorgen, dass die Präsidentin eine allzeit wohlgesinnte Presse zur Seite hat. Zur Presse hat CFK generell kein besonders enges Verhältnis; sie gibt zwar Erklärungen ab, steht aber nie den Medien Rede und Antwort. Dies trägt ihr häufig den Vorwurf der mangelnden Transparenz ein.
Ihre Außenpolitik blieb konturenlos. Einerseits bemühte sie sich immer um eine enge Beziehung zu US-Präsident Barack Obama, andererseits ließ sie es auf einen diplomatischen Konflikt ankommen, als zu gemeinsamen Manövern eingeladene US-Truppen nicht auf den Einfuhrlisten deklariertes medizinisches Material und Kommunikationsgerät ins Land brachten.Auch den Nachbarn Brasilien verärgerte sie mehrfach durch einseitige Einfuhrbeschränkungen. Den Europäern erteilte sie im Laufe der Schuldenkrise dozierend Ratschläge zu deren Bewältigung: Sie verwies nicht ohne Arroganz auf das argentinische »Modell«, das nicht auf einem Sparkurs, sondern auf Währungsabwertung und hohen Staatsausgaben basiert.
Am 27. Oktober 2010 starb Néstor Kirchner infolge eines Herzinfarktes. Nach einigen Tagen der Trauer, die über
YouTube
weltweit mitzuerleben waren, nahm Cristina ihre Amtsgeschäfte wieder auf. Sie trägt seitdem nur noch schwarz. Zunächst herrschte Unklarheit, ob sich Cristina ohne die Unterstützung ihres Mannes zu einer erneuten Präsidentschaftskandidatur entschließen würde. In der Öffentlichkeit war man bis zu Néstors Tod immer
Weitere Kostenlose Bücher