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Mädchen im Moor

Mädchen im Moor

Titel: Mädchen im Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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bekommen. Es hatte die Kontrolle von Julie Spange und Hedwig Kronberg durchlaufen, war als Verwandtschaftspaket anerkannt worden – Absender Lotte Marchinski – und war Hilde ausgehändigt worden. Nun saß sie mit Monika Busse am Tisch und betrachtete nachdenklich die Tüte voller Zimtsterne, die neben anderen Dingen im Paket lag.
    »Das Paket kommt von Willi …«, flüsterte Hilde, ohne dabei die Lippen zu bewegen. »Und es sind zweierlei Sorten Zimtsterne, siehste das?«
    Monika nickte. Sie hatte kein Paket bekommen, aber sie hatte auch keins erwartet. Ich bin nicht mehr ihre Tochter, dachte sie. Und sie haben recht. Ich habe ihnen zuviel angetan …
    In der Mittagspause biß Hilde vorsichtig in einen der Zimtsterne, die keinen Zuckerguß hatten. Das Gebäck bröckelte auseinander … ein Stück Papier lag ihr zwischen den Zähnen, sie spuckte es in die Hand und legte es auf den Tisch. Es war ein kleiner Fetzen einer Landkarte, ein Stückchen Straße, eine Kreuzung, ein dünner, blauer Strich wie ein Bachlauf.
    »Das ist 'n Ding!« sagte Käthe Wollop anerkennend. »Auf die Idee muß man kommen –«
    Nacheinander zerbiß Hilde alle Zimtsterne ohne Zuckerguß. In jedem Plätzchen war ein Stück Landkarte. Während Hilde die Sterne aufknackte, legten Käthe und Vivian die Kartenstücke zusammen. Es war ein mühsames Puzzlespiel, bis alle Fetzen zusammenpaßten, aber dann lag vor ihnen eine kleine Karte mit Wegen, Flüssen, Kanälen und Dörfern.
    »Unser Moor –«, sagte Vivian v. Rothen leise. »Er hat uns die Karte unseres Moors geschickt.« Sie sah in die großen Augen der anderen und nagte an der Unterlippe. »Wer … wer also weg will … kann sich nicht mehr verlaufen …«
    Hilde Marchinski durchstöberte weiter das Paket. Aus einem harmlosen Stück Christstollen holte sie eine kleine Rolle Tesafilm. Willi hatte an alles gedacht. Mit Fetzen in der Hand kann man nichts anfangen … jetzt war es möglich, die Karte stabil zusammenzukleben.
    Stumm saßen die Mädchen um das Paket, den Haufen zerbissener Zimtsterne und den aneinandergelegten Kartenfetzen. Sie sahen sich schweigend an und dachten alle das gleiche.
    »Willst … willst du denn weg?« Monika Busse sprach die Frage aus, die jeder in sich trug.
    »Ich weiß nicht.« Hilde Marchinski starrte auf die Karte. Von diesem Augenblick habe ich ein halbes Jahr geträumt, dachte sie. Ich habe im Moor gestanden und habe zum Horizont geblickt. Dort hinten liegt die Stadt … nein, dort … oder vielleicht dort … Sie hatte es nicht gewußt … überall war Heide, Moor, Birke, Holunder, Weide und Himmel, herrlicher Himmel, der mit der Erde zusammenstieß. Nun wußte sie, wo die Stadt lag, sie sah den Weg, der in die Freiheit führte, den Kanal, den man hinabfahren konnte, die Straße, auf der sie so mancher Autofahrer mitnahm, wenn sie den Rock hochhob.
    »Noch vor Weihnachten?« fragte Käthe Wollop rauh.
    »Vielleicht –«
    »Ich bleibe hier.« Monika Busse wandte sich ab und setzte sich auf ihr Bett. »Ob ich hier bin oder draußen … es ist alles gleich. Wo soll ich denn hin?«
    Es war der Tag, an dem Dr. Jochen Spieß um eine Sprecherlaubnis in der Jugendstrafanstalt Wildmoor nachsuchte und sie auch erhielt.
    »Das Problem ist: Wo verstecken wir die Karte!« sagte Hilde Marchinski und klebte die beiden ersten Fetzen zusammen. »Kinder, denkt doch mal mit! Natürlich gibt's hier hundert Verstecke … aber nichts ist sicher.«
    »Was geschieht, wenn sie die Karte entdecken?« fragte Monika Busse. Käthe Wollop lachte über soviel Naivität.
    »Zurück in'n Knast, mein Püppchen! Schluß ist's mit der sogenannten offenen Anstalt. Dann kommste wieder hinter Eisentüren … na, du kennst die Buden ja auch.«
    »Und warum werft ihr die Karte dann nicht weg?«
    »Du, Hilde … die Neue hat 'n Dachschaden.« Käthe Wollop riß ein paar Streifen Tesafilm ab und half, die Fetzen miteinander zu verbinden. Vivian v. Rothen saß zurückgelehnt auf Hildes Bett und sah an die Decke. Niemand beachtete sie, und so sahen sie nicht, wie es in ihrem Gesicht und hinter den Augen arbeitete, wie sich Gedanken überstürzten und Pläne geboren wurden. »Willste deine ganze Zeit hier absitzen?«
    »Ja.«
    »Wie kann man nur so doof sein!«
    »Was habt ihr davon, wenn ihr weglauft?! Wenn man euch wieder einfängt, kommt ihr nie mehr nach Wildmoor, das wißt ihr. Und was wollt ihr draußen? Immer werdet ihr gejagt werden, immer sitzt euch die Angst im Nacken …«
    »Aber nachts

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