Mädchen im Moor
Ozelotkragen und Ärmelstulpen aus dem gleichen Pelz. Die langen, schlanken Beine staken in kniehohen, weichen braunen Stiefeln.
»Guten Tag, Harry«, sagte die elegante Dame. »Sie sehen kein Jahr älter aus … Wie machen Sie denn das bloß?«
»Das ruhige Leben, gnädige Frau.« Der Butler lächelte mokant und zurückhaltend. »Wir leben ganz ruhig –«
Die Dame zog die ausrasierten und nachgezogenen Augenbrauen hoch, aber sie verzichtete auf weitere Worte. Das war eine Frechheit, dachte sie. Eine deutliche Anspielung … aber Harry kann sie so elegant dahersagen, daß es schwerfällt, sich darüber aufzuregen. Nur dieses Grinsen kann einen wütend machen, diese Maske der Biederkeit und Zurückhaltung, hinter der sich das Wissen um alle Dinge, die in diesem Hause geschehen, versteckt.
»Ist mein gewesener Mann da?« fragte sie, das Wort ›gewesen‹ deutlich betonend.
»Jawohl, gnädige Frau. Er erwartet Sie im Salon.«
Helena v. Rothen ging dem Butler Harry voraus in die große Halle der Villa und winkte ab, als ein bereitstehendes Stubenmädchen ihr den Mantel abnehmen wollte.
»Danke, nicht nötig –«, sagte sie knapp. Sie sah sich kurz um. Nichts hat sich verändert, dachte sie. Wann stand ich zum letztenmal hier? Vor vier Jahren. Ja … nach einem Hausball war es, ich verabschiedete die Gäste, und der letzte der ging, war Eberhard Roggen. Er küßte mir die Hand, und in diesem Augenblick sagte Holger von der Tür der Bibliothek her: »Warum legen Sie sich solchen Zwang auf, Herr Roggen? Sie begnügen sich ja sonst nicht mit dem Handrücken meiner Frau –« Was dann folgte, war eine Kette von Verhandlungen, ein zähes Ringen um Erbfolge und Abfindung und um den Wortlaut einer sogenannten Kavaliersscheidung, vor allem aber ein Abwenden allen Aufsehens oder eines gesellschaftlichen Skandals.
Vor vier Jahren. Damals war sie hier weggefahren ohne Abschied. Holger hatte Vivian in ein Kinderheim gebracht, damit sie die Häßlichkeiten elterlicher Auseinandersetzungen nicht miterlebte. So hatte sie auch Vivian nicht mehr gesehen und war weggegangen wie eine Fremde, wütend, mit Haß geladen, das Gefühl in sich, eine tragische Person zu sein, die den Mut hatte, aus einem goldenen Käfig auszubrechen. Später, schon ein Jahr nachher, als sich Eberhard Roggen von ihr trennte und mit einer Tennispartnerin nach Amerika fuhr, hatte sie diesen Irrtum eingesehen. Aber es gab kein Zurück mehr … für Holger nicht, weil es sein Stolz nicht zuließ, eine weggelaufene Frau wieder aufzunehmen, auch wenn sie die Mutter seiner einzigen Tochter war, für Helena nicht, die die Scham der Reue nicht ertragen konnte. Daß sie jetzt zurückkam, für ein paar Minuten nur, hatte einen anderen Grund. Es sollte keine Rückkehr sein, nicht einmal der Versuch einer Annäherung. Es sollte vielmehr ein Triumph sein, eine Befriedigung, kränken zu können, eine Anklage, die zum kleinen Teil ihrer Rache werden würde.
»Der Salon ist die linke Tür, gnädige Frau …«, sagte der Butler höflich. Helena v. Rothen zog die schönen, blaßlila getönten Lippen hoch.
»Ich kenne mich noch aus, Harry. Danke.«
»Darf ich einen Portwein servieren?«
»Bitte. Sie haben ein gutes Gedächtnis.«
Mit schnellen, kleinen Schritten, in der ihre ganze innere Nervosität lagen, ging sie zum Salon und riß etwas zu stürmisch die Tür auf.
Holger v. Rothen, ein großer, massiger Mann mit weißen Haaren, sprang aus dem Sessel auf. Er stieß dabei an den indischen, kleinen Teetisch. Die Tasse klirrte leise. Es war der einzige Laut im Raum, als sie sich gegenüberstanden und stumm ansahen. Holger von Rothen war es, der das peinliche Schweigen brach.
»Möchtest du den Mantel nicht ablegen?«
»Nein, danke. Ich bleibe nur ganz kurz. Harry wird mir ein Glas Portwein bringen, und länger, als bis dieses Glas getrunken ist, bleibe ich nicht.«
»Das ist ein relativer Zeitbegriff, meine Liebe.«
»Keine Sorge – ich halte dich nicht unnütz auf.« Sie setzte sich, knöpfte den Mantel an den oberen zwei Knöpfen auf und lehnte sich zurück.
Er ist älter geworden, dachte sie. Vor vier Jahren war er graumeliert, jetzt ist er schlohweiß. Aber es steht ihm gut zu dem braungebrannten Gesicht. Sicherlich war er wieder in Pontresina. Mit einer eiligen Handbewegung fuhr sie sich durch die roten Locken und strich sie an den Ohren zurück.
Holger v. Rothen sah sie kühl an. Als sie wegging, hatte sie blonde Haare, dachte er. Jetzt sind sie rot. Sie
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