Mädchen im Moor
sieht aus wie eine Schaufensterpuppe, von einer ebenmäßigen, fabrikvollkommenen Schönheit, ein Retortenmensch.
»Es geht um Vivian«, sagte Helena plötzlich. Es sollte wie ein Peitschenschlag klingen, aber Holger v. Rothen hob nur eine Augenbraue.
»Woher dieses Interesse?« fragte er kalt.
»Sie ist schließlich meine Tochter.«
»Biologisch ja.«
»Fangen wir nicht an, uns mit Wortspielen aufzuhalten. Ich habe erfahren, daß Vivian im Gefängnis sitzt.« Ihre Stimme begann zu zittern und verlor den forschen Klang. Holger v. Rothen neigte den Kopf etwas zur Seite und betrachtete seine ehemalige Frau. Sie war immer eine gute Schauspielerin, dachte er bitter. Sie konnte Liebe vorspielen und dabei an andere denken, sie war zärtlich, und wenn sie die Augen schloß, redete sie sich ein, es sei der Mann ihrer Heimlichkeiten, der sie im Arm hielt.
»Ja.« Holger v. Rothens Stimme war hart. »Sie sitzt!«
»Unerhört!«
Helena nestelte in ihrer Manteltasche, v. Rothen verzog den Mund zu einem leichten Lächeln.
»Laß bitte das Taschentuch, wo es ist. Tränen sind ein edles Material … man sollte sie dort vergießen, wo sie Ausdruck echter Freude oder echten Leides sind –«
»Du bist von einem gemeinen Sarkasmus –«
»Was willst du von Vivian wissen? Woher weißt du überhaupt, daß sie im Gefängnis ist? In der Presse stand nichts darüber …«
»Bekannte, die ich in Nizza traf, erzählten es mir. Ich wäre vor dieser Schande fast gestorben! Meine Tochter ein Sträfling – War das nicht zu verhindern?«
»Nein. Auch der beste Anwalt kann nichts mehr machen, wenn ein 17jähriges Mädchen ohne Führerschein und mit 1,9 pro Mille Alkohol im Blut den Wagen ihres Freundes fährt und dabei eine Frau über die Straße gegen einen Baum schleudert –«
»Tot –«, fragte Helena tonlos.
»Ja. Dazu noch Fahrerflucht. Ich war zu dieser Zeit in Rom …« Holger v. Rothen sah auf seine Hände. »Es wäre vielleicht nicht geschehen, wenn Vivian eine Mutter gehabt hätte, die sich um sie kümmert und die wirklich Mutter ist und nicht nur eine Modepuppe und das Spielkätzchen reicher Nichtstuer –«
»Bitte –« Helena v. Rothen stand abrupt auf. Der Butler Harry kam herein, auf einem Tablett ein funkelndes, geschliffenes venezianisches Glas und eine Flasche Portwein. »Dieser Ton dürfte nicht richtig sein.« Sie wartete, bis sich Harry wieder entfernt hatte und schüttete sich das Glas halb voll. »Ich werde Vivian zu mir nehmen –«
»Ach –«, sagte v. Rothen mit eisigem Lächeln.
»Sobald sie aus … aus dem Gefängnis heraus ist. Ich habe mich erkundigt … man wird ihr einen Teil der Strafzeit schenken, wenn sie sich gut führt. Und dann kommt sie zu mir.«
»Nein!«
»Doch! Du hast bewiesen, daß du unfähig bist, ein Kind zu erziehen und zu beaufsichtigen …«
»Und ich bezweifle, ob die Erziehung deiner Umgebung die richtige ist. Vivian soll eine Frau werden, keine Hure.«
Helena v. Rothen zog die Schultern hoch. Ihre kalten, blauen Augen flimmerten vor Wut. »Man sollte dich umbringen!« sagte sie heiser.
»Dieses Schicksal gedenke ich dir angedeihen zu lassen, wenn du Vivian entführen solltest.«
»Du drohst mir also?«
»Ja.«
»Du haßt mich.«
»Nein. Viel schlimmer – ich verachte dich.«
»Du hast nicht verhindern können, daß Vivian jetzt als Verbrecherin gilt!« schrie Helena v. Rothen.
»Ich war ahnungslos. Ich gebe es zu. Ich glaubte an Vivian, wie ich einmal an dich geglaubt hatte. Aber auch bei Vivian trat einer jener Männer ins Leben, die in deinem Leben immer die größte Rolle gespielt haben … ein Blender, ein Sohn reicher Eltern, ein Lackaffe, dessen einzige Leistung es ist, Geld auszugeben und immer potent zu sein, Sigi Plattner heißt der Jüngling, sein Vater hat eine Maschinenfabrik. Ich habe diesen schönen Sigi zu fassen bekommen … sein Vater hat darauf verzichtet, mich zu verklagen noch die Krankenhauskosten von mir zu verlangen. Aber da war es schon geschehen … und der einzige Vorwurf, der mich trifft, ist die elende Tatsache, daß ich zu gutgläubig war, zu verliebt in mein Kind, zu vernarrt, um zu erkennen, was hinter meinem Rücken geschah. Es war eine Neuauflage meiner Dummheit, die mit dir begann. Das allein ist meine Schuld … meine gutmütige Dummheit, daß man einem Menschen, den man liebt, auch vertrauen könnte.« Holger v. Rothen legte die Hände auf den Rücken und warf den Kopf zurück. »Das wäre es! Ich glaube, das ist genau die
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