Mädchen im Moor
Zeit gewesen, in der man ein Glas Portwein austrinken kann.«
»Also ein eleganter Hinausschmiß!«
»Nur eine rechnerische Feststellung.«
Helena trank das halbe Glas mit einem langen Schluck leer. Ihre Hand zitterte heftig, als sie das Glas an die Lippen hielt. Aus ihrer herrlichen Rache war eine Niederlage geworden, aus dem Triumph neue Beschämung. Das machte sie wütend und unbeherrscht.
»Nicht einmal einen Gnadenweg hast du versucht!« schrie sie. »Ich habe mich erkundigt!«
»Das stimmt! Vivian soll die volle Zeit absitzen!«
»Du Sadist!«
Holger v. Rothen wandte sich ab und ging zu einem kleinen Intarsienschreibtisch. Helena hob die linke Hand und setzte das Glas mit einem Knall auf die Tischplatte zurück.
»Du brauchst nicht nach Harry zu schellen … ich gehe schon! Hier bist du der Herr, der große Rothen … aber außerhalb deiner weißen Mauern bist du nicht mehr als alle anderen. Ich werde Vivian besuchen –«
»Nein.«
»Ich habe das gleiche Recht als Mutter, wie du als Vater.«
»Ich werde Vivian nicht besuchen.«
»Weil sich der große Herr schämt, in eine Zelle zu treten und seine Tochter in Gefängniskleidung zu sehen! Ich schäme mich nicht!« Ihre Stimme wurde schrill. »Ich bin ihre Mutter! Ich werde sie an mich drücken, meine kleine Vivi …«
»Diese plötzliche Mutterliebe ist ekelhaft!« sagte v. Rothen mit Abscheu. »Sie ist breiig wie Morast. Was bezweckst du denn eigentlich mit diesem widerlichen Theater?«
»Ich will Vivian haben!«
»Nein!«
»Wir werden sehen –«
Sie knöpfte den Mantel zu, stellte den Ozelotkragen hoch, als friere sie in dem warmen Zimmer und verließ mit stampfenden Schritten den Salon. Die Tür warf sie hinter sich zu und blitzte den Butler an, der in der Halle auf sie wartete.
»Die Bulldogge!« sagte sie gehässig. »Los … bellen Sie doch, Harry!«
»Ich wünsche der gnädigen Frau eine gute Weiterfahrt«, sagte Harry höflich mit einer kleinen Verneigung. »Die Straßen sind schneeglatt –«
»Wie diskret Sie den Wunsch ausdrücken, daß ich verunglücken soll.« Helena v. Rothen schob das Chiffontuch wieder über ihr rotes Haar. »Es wird ein unerfüllter Wunsch bleiben, Harry –«
Stumm begleitete der Butler sie wieder bis zum Wagen, riß die Tür auf, schlug sie hinter ihr zu und blieb unter dem Vordach stehen, bis sie gewendet hatte und die Auffahrt wieder hinunterfuhr.
»Das war die gnädige Frau?« fragte das Stubenmädchen in der Halle, als Harry zurückkam. Sie war erst ein Jahr im Haus.
»Ja –«
»Eine schöne Frau.«
»Ich leihe Ihnen nachher ein Buch, Lisa.« Der Butler zupfte an seiner silbergrauen Krawatte. »Sie werden darin lesen, daß immer schon die schönsten Hexen die gefährlichsten waren …«
Pfeifen-Willi hatte sich – der Not gehorchend, nicht dem eigenen Trieb – nach langem Zögern doch entschlossen, in das Familienunternehmen der Marchinski einzusteigen und als Zuhälter von Hildes Mutter, der viermal in der Woche besoffenen Lotte Marchinski, seine Pflicht zu tun. Er übernahm das Amt aus der Erwägung heraus, daß Hilde mindestens noch zwei Jahre in Wildmoor bleiben würde, wenn sie nicht Gebrauch von der Karte in den Zimtsternen machte. Zwei Jahre durch ehrliche Arbeit zu überbrücken, war für Willi wie Schmierseife-Essen. Der bequemere, wenn auch ästhetisch nicht in seinem Sinne liegende Weg war da immer noch die Betreuung Lotte Marchinskis, die nichts weiter verlangte, als daß man sie auszog, wenn sie besoffen nach Hause kam, ihr den Kopf hielt, wenn sie in den Spülstein kotzte und sie ab und zu – bei Anwandlungen ehrlicher Zärtlichkeit oder naturbedingter Triebhaftigkeit – mit dem zufriedenstellte, was sie in ihrem Beruf nicht verschenken konnte.
Auch das verrichtete Pfeifen-Willi gewissenhaft, wenn auch mit zusammengebissenen Zähnen. Er war eben ein Ästhet, trotz allem, und es reizte ihn zum Erbrechen, wenn der fuseldunstige Atem Lottes zu ihm emporstieg und von ihm verlangt wurde, die schon welken Lippen zu küssen. Immerhin verdiente Lotte monatlich im Durchschnitt bis zu netto 1.500 DM, deren Verwaltung in den Händen Pfeifen-Willis lag. Das war eine überzeugende Einnahme, die einige persönliche Opfer wert war.
»Wenn det Aas aus'n Knast kommt«, sagte Lotte manchmal voll mütterlicher Liebe, »dann wird's lustig. Ick jeb dir ja nicht wieder her, Willi! Det is ja man klar, wat? Und wennste jehst … ick bring euch in'n Jrube mit E-605! Det kannste jlooben –« .
Das
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