Mädchen im Moor
bis Sie sich erholt haben …«
»Aber nein, Herr Doktor! Das geht nicht. Die Küche, und die Mädchen ohne Leitung … ausgeschlossen.« Emilie Gumpertz versuchte ein sonniges Lächeln. »Ich bin doch wieder wohlauf. Der Schreck nur, wissen Sie, und die Angst, jetzt haste dich selbst aufgehängt … das hat mich umgeworfen! Es ist ja nun alles wieder gut –«
»Wie Sie wollen, Frau Gumpertz.« Dr. Röhrig hob resignierend die Schultern. »Auf Ihre Verantwortung. Aber wenn Sie irgend etwas spüren, kommen Sie sofort ins Revier!«
»Das tue ich.« Die Köchin hielt dem Arzt die Hand entgegen, eine dicke Hand mit wurstähnlichen Fingern. »Ich danke Ihnen, Herr Doktor –«
Mit einer unterdrückten Überwindung nahm Dr. Röhrig die Hand und drückte sie schnell. Es war ihm, als presse er einen glitschigen Schwamm aus. Emilie Gumpertz verließ schnell das Zimmer. Draußen wartete Barbara auf sie. Dr. Schmidt und Dr. Röhrig sahen ihr vom Fenster nach, wie sie hinüber zur Küche ging … gestützt auf die Schulter der stämmigen Barbara, vorbei an den Knäueln der im Hof wartenden Mädchen, die ihr stumm nachsahen … eine enttäuschte, erstarrte Masse Vergeltung.
»Kannst du das verstehen?« fragte Dr. Schmidt. »Diese dicke Lüge im Angesicht des Todes? Wen will sie decken? Warum lügt sie? Ich bin vor den Kopf geschlagen –«
»Ich bewundere deine Gabe, solche Dinge zu ahnen.« Dr. Röhrig wandte sich vom Fenster ab. Emilie Gumpertz war durch die haßstarrende Gasse der Mädchen in der Küche verschwunden. »Hier wäre die Mordkommission wirklich falsch gewesen – ja sogar sinnlos. Aber eines bleibt: Es gibt eine Täterin … und die Gumpertz ahnt, wer es ist … und schweigt. Dieses Warum kann ich dir nicht erklären.«
»Ich werde es erfahren! Ratten gibt es überall … und ich glaube, ich bin einer dicken Ratte auf der Spur.« Dr. Schmidt schlug mit der Faust in die linke Hand. Etwas wie Freude überkam ihn. Die Wolken waren an Wildmoor vorbeigezogen.
Am nächsten Tag fand ein Mädchen beim Häckselholen in der Scheune die verschwundene Wäscheleine. Sie war hinter einem Sack versteckt, sauber zusammengerollt. Triumphierend legte Emilie Gumpertz die Leine vor Dr. Schmidt auf den Tisch.
»Hier, Herr Rat – nun habe ich Ruhe. Die schöne Leine ist wieder da.«
Dr. Schmidt antwortete nicht. Er schob den Strick an die Köchin zurück und nickte bloß. Zufrieden verließ die Gumpertz das Chefzimmer. Der mysteriöse Fall war nach außen hin abgeschlossen.
Zwei Tage später saßen Monika Busse und Vivian v. Rothen zusammen auf Vivis Bett und stopften Strümpfe. Im Nebenzimmer saßen Hilde und Käthe vor dem Radio und hörten Operettenmusik. Ein Tenor sang. Komm in die Gondel –
Monika legte plötzlich ihren Strumpf in den Schoß und sah Vivian v. Rothen an. Sie hatte den Kopf mit den schwarzen Haaren tief über ihre Stopfarbeit gebeugt.
»Das hättest du nicht tun dürfen meinetwegen –«, sagte Monika langsam. »Ich hätte mich auch so gewehrt –«
Mit einem Ruck sprang Vivian auf und ging schnell aus dem Zimmer. Ihr halb gestopfter Strumpf hatte sich im Kleid verhakt und schleifte hinter ihr her.
Sie merkte es gar nicht …
Die Villa des Fabrikanten Holger v. Rothen lag außerhalb der Stadt in einem Parkgelände und stieß an einen großen Golfplatz. Es war der teuerste Boden der Stadt, und wenn v. Rothen sich auf einem solchen Grundstück eine solche Villa bauen konnte, bewies das, daß die ›Vereinigten Textilwerke‹ mit einem guten Gewinn arbeiteten und reiche Geschäftsjahre aufweisen konnten.
Kurz vor Weihnachten fuhr die breite, geschwungene Auffahrt ein weißer Reisewagen hinauf, vorbei an den mit Tannenreisern abgedeckten Rosenrabatten und den schlanken Säulenzypressen, die den Weg zur Villa wie riesige Pfeiler einrahmten, Pfeiler, auf denen der Himmel ruhte.
Der Butler, der auf das Klingelzeichen schon das elektrische Tor der Einfahrt geöffnet hatte, erwartete unter dem breiten Vordach des Einganges den Wagen und trat mit einer knappen Verbeugung heran, als er hielt. Er öffnete die Tür und lächelte das unverbindliche Lächeln aller Herrschaftsdiener.
»Guten Tag, gnädige Frau –«, sagte er und half einer großen, schlanken, äußerst attraktiven Frau aus dem Wagen. Sie dankte durch ein Kopfnicken, schob den Chiffonschal, den sie um den Kopf gebunden hatte, auf die Schulter zurück und schüttelte die tizianrot gefärbten Locken. Sie trug einen weißen Ledermantel mit
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