Mädchen im Moor
stand vor der Stalltür und half mit, Runkelrüben abzuladen. »Ich werde am nächsten Samstag einen kleinen Herrenabend geben und die maßgeblichen Verleger und Chefredakteure einladen. Ich befürchte nur, daß wir damit nicht das Anbringen der festen Türen und Gitter in Wildmoor verhindern können .«
»Das auf keinen Fall. Man wird sie anliefern. Aber zwischen Lieferung und Anbringen vergeht noch eine Zeit.« Dr. Schmidt trommelte mit den Fingerknöcheln auf seinen Schreibtisch. »Es ist schrecklich! Ich komme mir wie ein Verschwörer vor, wie der Held eines Schmierenstückchens. Wir stellen uns etwas außerhalb der Legalität.«
Holger v. Rothen lächelte. Es war ein müdes, aber doch Mut zusprechendes Lächeln. »Wir befinden uns da in illustrer Gesellschaft, Herr Regierungsrat. Und, seien wir ehrlich, was bleibt uns anderes übrig?« Er blickte wieder hinunter auf den Hof. »Könnte ich meine Tochter sprechen? Ich weiß, es ist kein Besuchstag … aber vielleicht nur ein paar Worte?«
»Natürlich, Herr v. Rothen. Ich lasse sie rufen.«
Zehn Minuten später stand Vivian ihrem Vater gegenüber, in dicken Wollstrümpfen, Stallschuhen mit Holzsohlen, einem blauen Leinenkleid, einer derben Schürze und einem blauen Kopftuch, das die schwarzen Haare mühsam zusammenhielt. Sie roch nach Kuhdung und Heu.
»Guten Tag, Papa«, sagte sie nüchtern. Sie zeigte weder Freude noch Erstaunen. Sie wußte, daß ihr Vater hier war. Vor dem Tor stand der große, schwarze Wagen, und der Chauffeur Willi saß hinter dem Volant und las die Zeitung.
»Wie geht es dir, Vivi?« Holger v. Rothen zögerte, seine Tochter zu umarmen. Er hatte Angst, daß sie vor ihm zurückwich.
»Gut, Papa. Warum bist du hier?«
»Ich muß etwas ausbügeln, was deine Mutter angestellt hat.«
Das Gesicht Vivians verzerrte sich. Unverhohlene Verachtung schrie aus ihrem Blick. »Ich verachte euch!« sagte sie hart. »Dich und Mutter und eure ganze sogenannte Gesellschaft. Ihr habt mich auf dem Gewissen. Nur Haß und Streit und Intrigen – ich will davon nichts mehr wissen! Das habe ich dir schon einmal gesagt, Papa. Bitte, besuche mich nicht mehr.«
»Vivi –«, stotterte Holger v. Rothen. Hilfesuchend sah er sich zu Dr. Schmidt um. Der Regierungsrat kam um seinen Schreibtisch herum auf Vivian zu.
»Nun zieh die Bremse, Mädchen!« sagte er in dem Ton, mit dem Hilde Marchinski und Käthe Wollop angeredet werden mußten. Vivian hob etwas die Schultern. »Dein Vater ist hier, um uns zu helfen.«
»Will er eine Kartoffelschälmaschine stiften?«
»Vivi! Ich –« v. Rothen wollte laut werden, aber Dr. Schmidt winkte ab. Ihr Blick flattert, dachte er. Das ist keine Abwehr mehr, da ist etwas Stärkeres in ihrem Wesen, mit dem sie nicht fertig wird.
»Würden Sie uns bitte allein lassen, Herr v. Rothen?«
Er wartete, bis der Fabrikant nebenan in das Sekretariat gegangen war und ging ein paarmal um Vivian herum. Sie stand mit gesenktem Kopf und beobachtete Dr. Schmidt unter halb geschlossenen Lidern.
»Was ist, Vivian?« fragte Dr. Schmidt.
»Nichts, Herr Regierungsrat.«
»Du bist anders geworden.«
»Vielleicht.«
»Gib nicht so dumme Antworten! Ich brauche dir nicht zu sagen, daß du anders bist als etwa Käthe Wollop. Du bist hier in Wildmoor, um dich auf dich selbst zu besinnen – bei Käthe ist es vergebliche Mühe. Sie gehört zu den Unverbesserlichen. Aber du bist einmal ausgerutscht, und ich weiß, daß du es nicht wieder tun wirst. Doch dieses einmalige Hinfallen ist kein Grund, alle Welt und auch deinen Vater zu hassen. Wir wollen dir nur helfen –«
Vivian v. Rothen schwieg. Ein Zucken lief über ihre nach vorn gebeugten Schultern. Plötzlich weinte sie und bedeckte das Gesicht mit beiden Händen.
»Lassen Sie mich gehen, Herr Regierungsrat«, sagte sie. Sie warf den Kopf in den Nacken, das Kopftuch rutschte auf den Hals, die langen, schwarzen Haare umflossen das schmale Gesicht wie eine Mantille. »Ich tue meine Arbeit, ich bin nicht aufsässig, es kann sich niemand über mich beschweren, ich falle keinem zur Last. Bitte, lassen Sie auch mir meine Ruhe.«
Dr. Schmidt hob bedauernd die Schultern. »Wie du willst. Ich kann dich nicht zwingen, mir zu vertrauen. Du kannst gehen –«
Vivian v. Rothen zögerte einen Augenblick. Es schien, als wolle sie noch etwas sagen. Aber dann schob sie das Kopftuch wieder über die Haare und verließ schnell das Dienstzimmer. Nachdenklich trat Dr. Schmidt ans Fenster und beobachtete sie, wie
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