Mädchen im Schnee
in einem anderen Leben in einer anderen Zeit einmal bei dieser Zeitung ein Sommerpraktikum gemacht hatte, da war ihr die Ehre zuteilgeworden, das nagelneue Auto bei einer Firma in Karlstad abzuholen. Damals hatte es kaum zehn Kilometer auf dem Tacho gehabt, und war das großartigste Auto gewesen, das sie je gefahren war. Das war jetzt nicht mehr so.
Sie setzte sich mit ihrer Kaffeetasse an den Schreibtisch. Die Finger tauten langsam auf, während sie durch das Värmlandsbladet und die Länstidningen blätterte.
Als sie fertig war, holte sie Schere, Klebstoff und ein leeres Blatt Papier heraus. Es gehörte zur täglichen Routine, die Artikel auszuschneiden, die zu ihrem eigenen Arbeitsgebiet gehörten. Moa Axelsson, die Kollegin aus Torsby, hatte über Neujahr gearbeitet und unter anderem über die Revue in Munkfors berichtet. Magdalena schnitt den Artikel, der eine ganze Seite bekommen hatte, aus, und klebte ihn auf, schrieb das Datum drauf und tat das Blatt in den Ordner. Sie fand auch noch ein paar Polizeimeldungen.
»Ah, du bist ja schon da.«
Barbro Holmgren, die Empfangsdame der Lokalredaktion, nahm vorsichtig ihre Pelzmütze ab und legte sie auf die Hutablage vor der Teeküche.
Die Kaffeetasse in beiden Händen, fuhr Magdalena auf dem Drehstuhl herum und lächelte Barbro an, die ihr Halstuch zusammenfaltete, glatt strich und neben die Mütze legte.
»Åke hat nie so früh angefangen«, fuhr Barbro fort. »Ich kann mich nicht erinnern, dass er jemals vor Viertel nach neun hier gewesen wäre.«
»Ach so. Ja, so ist jeder anders.«
Magdalena trank einen Schluck von dem Kaffee, der jetzt fast kalt war.
»Aber natürlich hat Åke abends länger gearbeitet«, sagte Barbro, während sie einen Bügel in ihren dunkelblauen Mantel schob und ihn an die Garderobe hängte.
Åke, Åke, Åke , dachte Magdalena. In den vergangenen Tagen war Barbro kaum ein Satz über die Lippen gekommen, in dem nicht der Name des pensionierten Lokalredakteurs vorgekommen wäre. Allerdings hatten die beiden auch über zwanzig Jahre in der Redaktion zusammengearbeitet – da sollte sie wohl etwas Toleranz zeigen.
Magdalena winkte Barbro mit ihrer Tasse zu und sagte:
»Es ist auch für dich welcher da.«
»Danke, das ist nett von dir.«
Barbro hatte ihre Pumps angezogen, richtete ihr gefärbtes Haar und die Perlenkette und verschwand in der Teeküche.
Magdalena rollte mit dem Stuhl zur Wiedervorlage an der Schmalseite des Schreibtisches. In der Tagesmappe lag eine ausgeschnittene Anzeige für eine Laienspielaufführung, die am Freitagabend im Guttemplerkino bei Ekshärad Premiere hatte. Die Existenz dieser Anzeige in der Wiedervorlage an diesem Tag interpretierte Magdalena so, dass Åke der Meinung gewesen war, dass hier ein Ankündigungsartikel angebracht wäre.
Magdalena sah in die Mappe des nächsten Tages. Sie war leer.
Würde sie es wirklich ertragen, so zu arbeiten? Vielleicht hatte Ludvig nicht unrecht. Die Saure-Gurken-Zeit war eine Sache, so was konnte sie aushalten, aber würde sie sich in einer Einmannredaktion wohlfühlen, wo der einzige Kontakt zu den Kollegen in der Lokalredaktion aus einer Telefonkonferenz am Mittwochmorgen um zehn Uhr und ein paar Konferenzen jährlich bestand? Sie war schließlich ein sehr sozial eingestellter Mensch. Eigentlich. Sie hatte Spaß am rauen Reporterjargon und an Redigierspäßen. Und über Barbro konnte man alles Mögliche sagen, aber ein Spaßvogel war sie wohl eher nicht.
Magdalena rollte zum Schreibtisch zurück, zog sich das Telefonbuch heran und schlug die Nummer vom Salon Frisserian auf.
Ihre Zunge war so trocken, dass sie fast hören konnte, wie es knisterte, wenn sie den Mund aufmachte und versuchte, sich die Lippen zu befeuchten. Sie hielt die Augen immer noch geschlossen, lag zusammengekauert da, die Decke fest um den Körper gewickelt.
Da hörte sie hinter sich etwas, das wie Atmen klang.
Langsam faltete sie die Hände und presste sie an die Stirn.
»Guter Gott«, flüsterte sie. »Ich weiß, dass alles meine Schuld ist, von Anfang an, aber du kannst doch trotzdem Ana zurückkommen lassen. Du kannst mich nicht hier so liegen lassen. Ich schaffe das nicht. Vergib mir, lieber Gott. Lieber Gott, bitte vergib mir.«
Schließlich drehte sie sich um und öffnete die Augen. Aber das Bett auf der anderen Seite des Zimmers war immer noch leer. Die Enttäuschung ließ sie nach Luft ringen.
Ana, wo bist du nur?
Sie blieb im Dunkeln mit den Füßen auf dem kalten Boden
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