Mädchen im Schnee
lehnte sich zurück.
»Jeder soll seinen Dreck selber wegmachen – das ist meine feste Überzeugung. Meine Großmutter war in ihrer Jugend Stubenmädchen, und die Zeiten will ich nicht zurückhaben. Was sollen denn die Nachbarn denken? Wir sind doch keine hochherrschaftlichen Leute.«
Petra und Nellie sahen einander in resigniertem Einverständnis an.
Ich hätte es auch gern schön um mich herum, dachte Petra und konnte nicht umhin, ihren vollgestopften Bungalow mit Losjös großzügigem Haus zu vergleichen. Hier dagegen – kaum drehte man den Rücken, wuchs die Unordnung nach.
Als Petra später allein in der Küche war, kamen die Gedanken an Hedda Losjö wieder hoch. Sven Munthers statistisch begründeter Hinweis, dass die meisten, die verschwinden, dies freiwillig tun und quicklebendig zurückkommen, half auch nicht weiter.
Fredrik Anderberg war kein unbeschriebenes Blatt.
Er wird einfach von allen sofort abgeurteilt! Aber ich sehe das Warme und Schöne in ihm, und er wirkt so ruhig, wenn er mit mir ist. Er ist der Liebste der Welt. Würde niemandem je etwas zuleide tun.
Sie musste sich von Munther die Erlaubnis holen, ihn wenigstens zu befragen.
Es war schon ein Glück, dass ihre Kinder wenigstens nicht zu denen gehörten, die von zu Hause abhauten. Wir haben es hier zwar manchmal schmutzig und chaotisch, dachte sie, aber wir können zumindest miteinander reden.
4
Um fünf Minuten vor acht ließ sich Christer Berglund, mit Notizblock und Stift ausgerüstet, an dem länglichen Tisch im kombinierten Kantinen- und Konferenzraum der Polizeistation nieder. Er strich sich vorsichtig mit den Fingerspitzen über den frisch gestutzten Bart. Es fühlte sich immer noch ungewohnt an, aber er würde ihn wohl doch behalten.
»Der steht dir.«
Christer fuhr wie ertappt zusammen, aber Urban Bratt ließ sich unbekümmert auf dem Stuhl ihm gegenüber nieder.
»Jetzt guck nicht so verschreckt. Das war ein Kompliment.«
»Danke – es fühlt sich etwas ungewohnt an«, sagte Christer und befühlte weiterhin sein Kinn.
»Bald wirst du dich ohne wie ein grüner Junge fühlen«, sagte Urban, der selbst sowohl einen Schnauzer als auch einen sauber gestutzten Kinnbart trug.
Er muss Stunden darauf verwenden, dachte Christer. Andererseits muss er ja auch keine Haare waschen.
Punkt acht Uhr schlenderte Petra Wilander herein, zusammen mit ihrem neuen Assistenzanwärter Folke Natt och Dag.
Christer und Petra hatten vor dem ersten Arbeitstag des Assistenten ein paar Witze gerissen und gefragt, ob es an der Polizeischule jetzt eine Quote für ältliche Adelige gebe, und hatten dann noch mehr lachen müssen, als der blonde, hochgewachsene Jüngling auf dem Revier aufgetaucht war.
Christer vermutete ja, dass Folke lieber in einer Großstadt gelandet wäre und Nordvärmland wohl nicht ganz oben auf seiner Wunschliste gestanden hatte. Doch abgesehen von irgendwelchen beruflichen Ambitionen hatte Folke Natt och Dag wie die meisten Anwärter in den ersten Tagen den Ball flachgehalten, hatte zugehört und ohne Einwände oder eigene Initiativen erledigt, was man ihm aufgetragen hatte.
Sechs Minuten nach acht kam, wie immer als Letzter, Sven Munther herein, und knallte zwei Zeitungen auf den Tisch.
»War ein etwas chaotischer Morgen zu Hause«, entschuldigte er sich und setze sich. »Die Vermisstenmeldung für das Mädchen ist ja raus«, fuhr er fort und schob die Zeitungen mit den aufgeschlagenen Artikeln über den Tisch. »Schon irgendwelche Hinweise?«
Alle schüttelten den Kopf.
»Gar nichts? Okay. Na gut, der Tag ist ja noch jung. Petra, wie ist es mit dem Tagebuch?«
Petra versuchte, ein Gähnen hinter vorgehaltener Hand zu verbergen – die Morgenstunden waren noch nie ihre Stärke gewesen –, und berichtete in kurzen Zügen von den Texten, von dem Stallbesuch bei Stina und Heddas kurzer Romanze mit Fredrik Anderberg.
»Ach, du Scheiße. Der Fredrik Anderberg. Erinnerst du dich, Berglund, der hatte doch vor sieben, acht Jahren hier ein Abo.«
Christer nickte.
»Genau, war es nicht das eine, dann war es das andere«, fuhr Munther fort. »Diebstahl, Betrug, Schlägereien in alkoholisiertem Zustand. Diese Misshandlungsgeschichte war nicht lustig. Auch wenn es jetzt etwas ruhiger um ihn geworden ist, wäre es ein Dienstfehler, wenn wir ihn nicht aufsuchen würden. Übernehmt ihr zwei das?«
Christer und Petra sahen sich an und nickten.
»Außerdem sollte jemand Heddas Computer holen«, sagte Petra. »Ich habe das
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