Mädchen im Schnee
ausgenutzt hat. Da hat sie eine Stinkwut gekriegt und gesagt, ich wär ja nur neidisch.«
»Hattet ihr seither keinen Kontakt mehr?«
»Doch, wir haben uns immer noch gesehen, aber sie wurde immer komischer. Wie besessen. Sie konnte einen ganzen Vormittag schwänzen, einfach nur, um vor seiner Tür auf und ab zu gehen. Einmal hat er sie gesehen und wurde total sauer. Wahrscheinlich hatte er Angst, dass seine Frau sie sehen und alles kapieren würde.«
Petra nickte wieder.
»Außerdem hat sie ziemlich viel vor dem Computer gesessen. Abendelang hat sie dagesessen und auf den Bildschirm gestarrt. Ich fand, dass sie wie immer hierher in den Stall kommen könnte, aber das ging wohl nicht.«
»Was hat sie denn am Computer gemacht? Weißt du das?«
Stina schüttelte den Kopf.
»Nein, aber kurz bevor ich mich dann nicht mehr bei ihr habe blicken lassen, hat sie davon gesprochen, einen eigenen Blog anzufangen. Das war wohl im Oktober oder Anfang November. Genau, in den Herbstferien. Ich weiß nicht so richtig, warum sie mir das überhaupt erzählt hat, denn damals hatten wir schon fast nichts mehr miteinander zu tun.«
Ein Blog, dachte Petra. Die Fortsetzung des Tagebuchs. Natürlich.
»Weißt du, unter welcher Adresse der läuft?«
»Nein, ich weiß nicht einmal, ob sie wirklich einen angefangen hat, sondern nur, dass sie davon gesprochen hat. Es hat mich nicht so wahnsinnig interessiert.«
Stina kletterte aus der Box, warf den Striegel in einen schwarzen Eimer und wandte sich Petra zu.
»Ich vermisse sie. Das klingt alles vielleicht nicht so, aber es stimmt wirklich. Zumindest die alte Hedda.«
»Was meinst du – ist sie aus freien Stücken verschwunden?«
»Ich kenne sie nicht mehr, deshalb kann ich das nicht sagen.«
Petra streckte die Hand aus.
»Danke, dass du alle meine Fragen so gut beantwortet hast. Lass von dir hören, wenn du auf irgendetwas stößt, das uns helfen könnte. Egal was. Frag nach mir.«
»Versprochen«, sagte Stina. »Und Sie sagen mir bitte Bescheid, wenn Sie wissen, wo sie ist. Ich hoffe, sie taucht bald wieder auf.«
Wir müssen Heddas Computer finden, und diesen Fredrik Anderberg, dachte Petra als sie die Stalltür öffnete und in die Kälte hinaustrat.
Magdalena saß vor dem Bild von Hedda Losjö auf dem Bildschirm, ein klassisches Schulfoto mit himmelblauem Hintergrund. Das lockige Haar des Mädchens war mit einem schmalen Metallreifen hochgeschoben. Lange Mascara-Wimpern rahmten die Augen ein, ansonsten sah sie ungeschminkt aus. Sie war süß, fand Magdalena. Auf eine natürliche, etwas schüchterne Weise.
Sechzehn Jahre und vermisst gemeldet.
Magdalena hatte schon Text und Bild an die Zentralredaktion geschickt, hatte die Suchketten der Landwehr um das Zuhause des Mädchens in Gustavsfors beschrieben und den diensthabenden Beamten bei der Polizei in Hagfors, einen Urban Bratt, zitiert, der die Schwierigkeiten bei der Suche aufgrund des Schneefalls der letzten Tage und der schneidenden Kälte, die sich eingestellt hatte, beschrieb. Wegen der Dunkelheit war man bereits gezwungen gewesen, für diesen Tag die Suche abzubre chen, aber man würde am nächsten Morgen weitermachen.
Magdalena hatte keine klare Antwort darauf bekommen können, ob die Polizei ein Verbrechen vermutete, doch wie jener Bratt sagte, habe man »natürlich eine Ermittlung eingeleitet«.
Magdalena schaute in die grünen Augen auf dem Bildschirm, und ihr wurde unbehaglich.
Nach einem raschen Blick auf die Uhr loggte sie sich aus und schaltete den Rechner ab. Es war Zeit, Nils abzuholen. Die Frage war nur, wie sie nach Hause kommen würden. Ich hätte heute Morgen das Auto mitnehmen sollen, dachte sie.
Das Thermometer wollte partout nicht über minus zwanzig Grad steigen, und sie würden beide erfrieren, wenn sie den ganzen Weg nach Hause liefen.
Ich werde Papa anrufen müssen, dachte sie und suchte in der Jackentasche nach dem Handy.
Als Petra in die Garageneinfahrt einbog, war es bereits nach halb acht. Durch das Küchenfenster sah sie Lasse, Hannes und Nellie um den Abendbrottisch sitzen. Nellie und Hannes wie immer auf dem Küchensofa, Lasse auf seinem Stuhl am Fenster. Nellie hatte Spaghetti um ihre Gabel gewickelt, mit der sie nun beim Reden gestikulierte. Wie so oft in letzter Zeit wirkte sie ausgesprochen engagiert. Das knallgrüne Haar leuchtete im Schein der Küchenlampe. Lasse schüttelte in offensichtlicher Skepsis gegenüber ihren Argumenten den Kopf und hielt seinen Teller näher an die
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