Mädchen im Schnee
plötzlich an zu reden, als befände sie sich in einem alten Werbefilm? Aber am peinlichsten war wohl, dass sie so seltsam berührt gewesen war.
Das kleine Stallgebäude lag an einem Ende eines großen Ackers, dahinter und an der einen Seite begann dichter Wald. Aus ein paar Luken schien schwaches Licht, und abgesehen von dem Lichtkegel der Lampe direkt über der Stalltür war es stockdunkel.
Als Petra Wilander vorsichtig den vereisten Parkplatz überquerte, flog in den Bäumen ein Vogel auf. Sie erschrak so heftig, dass sie, fast das Gleichgewicht verlor.
Diese Pferdemädchen dürfen zumindest keine Angst vor der Dunkelheit haben, dachte sie, als sie die knarrende Stalltür aufzog. Das Pferd, das der Tür am nächsten stand, wandte ihr den Kopf zu und blinzelte sie an.
»Hallo?«, rief Petra verzagt.
Vielleicht drehen Pferde durch, wenn man schreit, dachte sie und schlich in dem Stallgang vorwärts. Seit sie als Kind im Slottsskogen von einem Shetlandpony gebissen worden war, hatte sie sowohl Ställe als auch Pferde gemieden. Tiere, die merken, wenn man Angst hat, und es zu ihrem Vorteil ausnutzen, können nicht ganz in Ordnung sein, war ihre Ansicht.
Stina Skog, die allein im Stall zu sein schien, stand mit einer grünen Bürste in der Hand ganz hinten in einer Box. Ein langer, brauner Zopf hing ihr über den Rücken. Ihre Jacke schien eine Nummer zu klein zu sein und spannte über den Hüften. Die Pickel auf dem Kinn hatte sie mit einem hautfarbenen Stift zu übermalen versucht. Als sie Petra kommen sah, hörte sie mit dem Striegeln auf und blieb mit hängenden Armen neben dem Pferd stehen. Petra lächelte und hob die Hand zum Gruß.
»Ich bin Petra Wilander. Ich habe vorhin angerufen. Mach ruhig weiter – wir können uns dabei unterhalten.«
»Es ist so schlimm, dass Hedda einfach verschwunden ist«, sagte Stina und begann wieder, das grau gesprenkelte Pferd mit langen Bewegungen zu striegeln. »Was meinen Sie, was passiert ist?«
»Momentan versuchen wir erst mal herauszubekommen, mit wem sie zusammen war und wie es ihr ging. Ob etwas Besonderes geschehen ist, weshalb sie selbst beschlossen haben könnte abzuhauen, oder ob sie sich mit jemandem gestritten hat.«
Stina bückte sich unter dem Hals des Pferdes durch und kam auf der anderen Seite heraus. Petra machte ein paar Schritte nach rechts, um den Blickkontakt behalten zu können und gleichzeitig einen ausreichenden Sicherheitsabstand zu den Hinterbeinen des Pferdes zu wahren.
»Wir machen nicht mehr so viel zusammen.«
»Woran liegt das?«
Stina zuckte die Schultern.
»Ach … Ich fand, sie war wahnsinnig anstrengend geworden. Die ganze Zeit hat sie von denselben Sachen geredet. Das war ich wohl leid.«
»Im Sommer hat sie sich mit jemandem getroffen, der Fredrik heißt«, sagte Petra.
Stina erstarrte mitten in der Bewegung und sah Petra an.
»Woher wissen Sie das?«
»Das kann ich leider nicht verraten.«
»Das wussten echt nicht viele Leute. Ihre Eltern haben, glaube ich, nichts davon mitgekriegt.«
»Okay. Wer ist das denn, dieser Fredrik?«
»Er heißt Fredrik Anderberg. Schleimiger Typ.«
Stina verzog das Gesicht.
»Was heißt schleimig?«
»Einfach eklig. Alt. Er ist irgendwie verheiratet und hat ein kleines Kind, hat aber trotzdem mit Hedda rumgemacht. Und sie hat einfach alles geglaubt, was er gesagt hat, hat es aufgesogen wie ein Schwamm. Und sie konnte endlos über ihn reden, hat jeden Satz dreimal rumgedreht und seine SMS so lange interpretiert, bis sie die romantischsten der Welt wurden. Erst hab ich noch versucht, mich für sie zu freuen und so. Und zu sagen, was sie wollte, dass ich sage.«
»Du hast versucht, dich für sie zu freuen?«
»Ja. Wahrscheinlich war ich ein bisschen eifersüchtig. Also, nicht weil sie ihn hatte, obwohl er ziemlich gut aussieht für sein Alter, sondern mehr, weil – weil ich mich ausgeschlossen fühlte.«
Petra nickte und wartete auf die Fortsetzung.
»Wir waren schließlich die ganze Zeit Freundinnen gewesen. Sie war für das Füttern von Wirbelwind zuständig, der dahinten steht.«
Stina zeigte auf ein braunes Pferd auf der anderen Seite des Stallgangs.
Immerhin ist sie so ehrlich, das zuzugeben, dachte Petra und sagte:
»Und was passierte dann?«
»Er fing an, sich komisch zu benehmen, also Fredrik. Wollte sie nicht mehr sehen. Es war schwer, das alles wirklich zu durchschauen. Eines Tages habe ich ihr dann gesagt, was die Wahrheit ist, nämlich dass er ein Schwein ist und sie nur
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