Mädchen im Schnee
Tochter geschrieben wurde.
Magdalena holte ein paar Mal tief Luft und drückte dann auf die Klingel. Ihr Herz schlug laut, als sie Schritte sich der Tür nähern hörte.
Ernst Losjö – so hieß er doch? – erwies sich als hochgewachsener, sehr stattlicher Mann um die fünfundfünfzig. Sein grau meliertes Haar war zurückgekämmt, und er trug ein hellblaues Hemd, eine dunkle Anzughose und glänzende Schuhe.
Er sieht aus wie ein Experte in der Antiquitätenshow, dachte sie.
Magdalena zog den Handschuh aus, reichte ihm die Hand und stellte sich vor. Losjö sah sie fragend an.
»Ich schreibe über Ihre vermisste Tochter und die Suche nach ihr. Eben war ich beim Suchtrupp, und jetzt dachte ich …«
Ernst Losjö sagte nichts, doch sein Blick beschämte sie. Plötzlich war sie sich ihrer Daunenjacke bewusst, die sie schon vor langer Zeit in die Reinigung hätte geben müssen. Sie hätte eine andere Farbe als Rot nehmen sollen; da sah man jeden Fleck drauf.
»Ich dachte, dass Sie vielleicht gern erzählen würden, was passiert ist. Aus Ihrer Sicht.«
Losjö rührte sich nicht, machte keine Anstalten, sie hereinzubitten.
»Und wieso sollte ich das wollen?«
Magdalena holte tief Luft.
»Wenn über sie geschrieben wird, dann wird sich vielleicht jemand erinnern, sie gesehen zu haben. Und vielleicht werden noch mehr Leute bei der Suche helfen wollen. Es gibt viele Gründe. Außerdem würde es mir sehr sonderbar vorkommen, über Hedda zu schreiben, ohne Sie zu fragen, ob Sie auch etwas dazu sagen wollen.«
»Das Einzige, woran Sie interessiert sind, ist doch wohl eine Steigerung der Auflage.«
»Es ist so, dass das Värmlandsbladet sich hauptsächlich durch Abos finanziert«, entgegnete Magdalena so sanft sie konnte. »Aber natürlich werde ich Ihren Wunsch respektieren. Entschuldigen Sie bitte die Störung.«
Sie wollte gerade die Treppe hinuntergehen, als sie hinter sich ein lautes Schluchzen hörte. Als sie sich umdrehte, sah sie, wie Ernst Losjö in der Tür stand und sich mit dem Handrücken das Gesicht abwischte.
Es machte Magdalena ganz krank, den großen Mann in seinen schicken Kleidern wie einen kleinen Jungen schluchzen zu sehen. Mit Arroganz und Wut konnte sie umgehen, haltlose Trauer war etwas anderes.
»Bitte …«, sagte Ernst Losjö.
Magdalena wartete schweigend.
»Bitte entschuldigen Sie.«
»Das ist vollkommen in Ordnung. Ist doch klar, dass es Ihnen schlecht geht.«
»Ich wollte nicht unhöflich sein, aber ich mache mir solche Sorgen. So wahnsinnige Sorgen.«
»Das kann ich gut verstehen. Ich wollte Ihnen nur die Möglichkeit geben, sich zu äußern.«
Die Tränen rannen über Losjös Gesicht, aber jetzt hatte er ein Taschentuch in der Hand und schnäuzte sich.
»Ich werde die Sache mit meiner Frau besprechen. Sie schläft gerade. Haben Sie eine Visitenkarte?«
»Leider nicht, ich habe gerade erst hier angefangen. Aber ich kann Ihnen meine Nummer aufschreiben.« Zum zweiten Mal an diesem Tag kritzelte Magdalena ihre Telefonnummer auf einen Zettel. »Lassen Sie von sich hören, wenn Sie möchten. Und jetzt alles Gute.«
Magdalena fühlte sich erschöpft, als sie zum Auto zurückging. Das Bild von dem weinenden Ernst Losjö würde sie noch lange begleiten.
»Darf ich nach dem Essen rausgehen und mit Melvin spielen?«
Nils nahm einen Schluck Milch und sah Magdalena über den Rand des Glases hinweg an.
»Es ist zu kalt.«
»Aber wir wollen doch den Iglu fertig bauen.«
»Das ist klar. Morgen wird es wärmer sein, du wirst schon sehen.«
Die beiden Nachbarsjungen würden in dieselbe Klasse kommen und hatten schon viel Zeit auf ihr Bauwerk verwendet, hatten harte Schneeklumpen von den Wechten an der Straße gesammelt und sie auf ihren Schlitten zum Grundstück gezogen. Magdalena hatte lange Zeit am Fens ter ihr Spiel beobachtet und endlich einmal innere Ruhe verspürt.
»Wir machen hundert Millionen Schneebälle«, erklärte Nils, »damit wir vorbereitet sind, falls es Krieg gibt.«
»Okay. Dann kann ich mich hier drinnen ja ganz sicher fühlen.«
Nils nickte.
»Darf ich dann drinnen bei Melvin spielen?«
»Lauf rüber und frag Stefan und Diana. Ein Weilchen ist schon in Ordnung.«
Nils trug den Teller mit Glas und Besteck darauf wie ein Tablett zur Spüle. »Danke fürs Essen, auf dem Tisch hat gesessen eine Kuh, die hieß Ruth, und die hat gepupt.«
Als der Reim fertig aufgesagt war, stand er schon im Flur.
»Im Korb sind trockene Handschuhe!«, rief Magdalena ihm nach,
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