Mädchen im Schnee
eine halbe Stunde hatte es gedauert, das Auto unter der dicken Eisschicht freizukratzen, und als das geschafft war, wollte es nicht anspringen. Als sie endlich in die Ferienbetreuung kamen und Nils schon das Gemurmel seiner Kumpel hinter der geschlossenen Tür hörte, hatte er sie vorwurfsvoll angesehen.
Magdalena blätterte eine neue Seite in ihrem Block auf und schrieb mit steifen Fingern:
»Standheizung. Ölkessel kontrollieren.«
Der kleine Kerl.
Ihr Artikel über den Suchtrupp hatte oben auf Seite neun eine halbe Seite bekommen. Absolut okay. »Hedda Losjö immer noch vermisst – Kälte erschwert die Suche«, lautete die Schlagzeile.
Linus Saxberg von der Länstidningen hatte einen fast identischen Artikel, aber ein etwas besseres Bild.
Als es Zeit für die Lokalnachrichten war, drehte Magdalena die Lautstärke hoch. Das sechzehnjährige Mädchen war, wie der Reporter dort berichtete, immer noch nicht gefunden worden. Die Suche würde im Laufe des Tages fortgesetzt werden.
Nachdem Magdalena beide Zeitungen durchgeschaut hatte, fuhr sie den Computer hoch und schrieb rasch eine Mail an Bertilsson, den Nachrichtenchef bei der Zentralredaktion.
»Guten Morgen! Heute habe ich vor, mit den Klassenkameraden der vermissten Hedda Losjö zu sprechen. Die Eltern haben bisher noch nichts sagen wollen, aber sie überlegen es sich vielleicht noch anders. Versuche auch bei der Polizei herauszubekommen, wie es läuft. Ich melde mich!
Magda«
Als Barbro den Schlüssel ins Schloss steckte, trank Magdalena gerade den letzten Rest Kaffee.
Der Arbeitstag konnte beginnen.
Fredrik Anderberg war nicht an seinem Arbeitsplatz bei der Müllverwertung, und er hatte sich auch nicht krank gemeldet, wie sein Chef versicherte, dem es schwerfiel, seine Neugier zu verbergen, warum die Polizei da war.
»Kann natürlich sein, dass er einfach verschlafen hat. Das passiert ihm schon manchmal.«
»Das ist ja nur menschlich«, sagte Petra.
»Soll ich ihm etwas ausrichten?«
»Bitten Sie ihn einfach, auf dem Revier anzurufen«, sagte Christer. »Und vielen Dank für die Hilfe.«
Petra und Christer sahen sich fragend an, als sie zum Wagen zurückgingen.
»Dann sollten wir vielleicht mal bei ihm zu Hause nachschauen, oder?«, sagte Christer, wendete und fuhr vom Parkplatz.
Petra drückte mehrere Male auf die Klingel, aber es machte niemand auf.
»Es klingt aber so, als wäre jemand zu Hause«, meinte Christer und legte den Kopf an die Wohnungstür. »Ich meine, da ein Kind reden zu hören.«
Christer klopfte fest an die Tür und rief dann durch den Briefschlitz:
»Polizei. Machen Sie auf!«
Im Flur hörte man leise Schritte. Dann wurde die Tür vorsichtig geöffnet, aber nur eine Handbreit.
Camilla war kaum wiederzuerkennen. Ein großes Pflaster klebte auf der einen Augenbraue, und ihr linkes Auge war zugeschwollen.
»Fredrik ist nicht da«, sagte sie.
Hinter ihr stand ein Junge mit vom Schlafen zerzaus tem Haar und einer hellblauen Schlafanzughose und starrte die Besucher mit großen Augen an.
Zum Glück haben wir keine Uniformen an, dachte Petra.
»Können wir reinkommen?«, fragte sie. »Wir müssten noch ein paar Dinge besprechen.«
Camilla, die einen anderen Collegepullover und graue Leggins trug, öffnete die Tür zögerlich.
Der Junge hielt ein grünes Plüschkrokodil in der Hand. Petra ging in die Hocke und sah ihn an.
»Hallo. Ich heiße Petra. Du bist Liam, oder?«
Der Junge antwortete nicht, sondern sah sie nur an und packte das Krokodil fest mit seiner pummeligen Hand.
»Er ist ein bisschen schüchtern«, sagte Camilla.
Nein, der ist nicht schüchtern, dachte Petra, der hat Angst.
»Können wir uns nicht hinsetzen und einen Augenblick ungestört reden?«, fragte Christer. »Liam kann ja vielleicht so lange etwas anderes machen.«
»Warten Sie in der Küche«, sagte Camilla und nahm den Jungen mit ins Wohnzimmer.
Petra sah Christer mit hochgezogenen Augenbrauen an und zeigte auf ihr Gesicht. Er nickte kurz. Camilla war schwer misshandelt worden. Sie gingen in die enge Küche und setzten sich nebeneinander an den Küchentisch. Während sie warteten, betrachtete Petra die Zeitungsausschnitte und Postkarten an der Kühlschranktür: das schwarzweiße Taufbild von Liam und eine Verlobungsanzeige, mehrere bunte Witzpostkarten, ein Rezept für Nusskuchen mit Karamellglasur und ein Zettel mit dem Logo der Krankenversicherung.
»Also, Fredrik ist nicht da«, sagte Camilla und ließ sich schwer auf einen der
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