Mädchen im Schnee
nicht großartig gehofft, aber von Petra hatte sie doch ein paar mehr Details erwartet.
Magdalena trug das Frühstückstablett vom Couchtisch in die Küche.
Vergewaltigt, misshandelt, erschossen. Und völlig unbekannt. Wie sehr Magdalena es auch zu verdrängen versuchte – ihre Gedanken kehrten immer wieder zu dem seltsamen Mord zurück. Irgendjemand musste doch wissen, wer das Mädchen war. Gab es einen Zusammenhang mit Hedda Losjö? Das war alles sehr seltsam.
Magdalena räumte das schmutzige Geschirr in die Maschine, dann ging sie in Nils’ Zimmer, zog seine Bettdecke ab und warf den Bezug auf den Wäscheberg auf dem Boden. Dann ging sie zu dem großen, alten Wäscheschrank von ihrer Großmutter auf dem Treppenabsatz und wählte den blauen Bettbezug mit weißen Wolken. Als sie das Bett bezogen und die Tagesdecke aufgelegt hatte, setzte sie ihre Aufräumarbeiten fort. In der Ecke neben Nils’ Schrank stand immer noch eine unausgepackte Tasche, die er in Indien dabeigehabt hatte. Magdalena summte vor sich hin, machte den Reißverschluss der Tasche auf und holte ein Sommerkleidungsstück nach dem anderen heraus. Sie faltete Shorts und Hemden sorgfältig zusammen, und legte die Kleider auf das oberste Regalbrett im Schrank. Es würde lange dauern, bis die wieder gebraucht würden.
Unten im Wohnzimmer liefen immer noch die Morgennachrichten. Die Stimme von Lasse Bengtsson war wie ein schwaches Brummen in der oberen Etage zu hören.
Heute Abend also das Florenz, dachte sie. Sie hatte lange gezögert, weil sie nach der intensiven Arbeitswoche so müde gewesen war. Und etwas nervös war sie auch. Aber die Überredungskampagne von Jeanette war so massiv gewesen, und jetzt hatte sie sich entschieden. Erst eine Art ruhige Vorparty bei Jeanette und dann gemeinsam zum Florenz. Und irgendwo unter der Nervosität war auch etwas, das man als Vorfreude bezeichnen konnte.
Magdalena hielt Nils’ Badehose mit den Haien hoch und lächelte. Doch, es würde schön sein, ein bisschen unter Leute zu kommen.
Ganz unten am Boden der Tasche lag ein dickes Fotokuvert mit englischem Text. Anscheinend waren das Urlaubs bilder, die irgendwo in einem Sofortlabor entwickelt worden waren. Magdalena setzte sich auf Nils’ Bett, klappte das Kuvert auf und holte den Fotostapel heraus. Es waren hauptsächlich Bilder von Nils: Nils hinter einem großen Teller Spaghetti in einem Restaurant, Nils mit Schwimmflügeln an seinen schmalen Oberarmen in einem Pool, Nils, der Ludvig im Sand begraben hatte, sodass nur noch der Kopf rausguckte.
»Gut gemacht«, murmelte Magdalena und kicherte ein wenig. »Schade nur, dass er sich wieder losmachen konnte. Du hättest den Sand etwas fester klopfen müssen, mein Kleiner.«
Auf dem nächsten Bild waren Nils und Ebba in einem Liegestuhl unter einem Sonnenschirm zu sehen. Nils saß auf Ebbas Schoß, den Bademantel ordentlich zugeknotet, die Kapuze über dem nassen Haar. Er sah ernst aus, während die lächelnde Ebba in türkisfarbenem Bikini und mit auf die Stirn geschobener Sonnenbrille seine Hand auf ihren vorstehenden Bauch hielt. So sah sie also aus.
Magdalena wurde erst heiß, dann begann sie zu frieren. Mit zitternden Händen riss sie das Foto in lange, schmale Streifen, die sie auf den Teppich warf. Plötzlich war sie todmüde und rollte sich auf dem frisch gemachten Bett von Nils zusammen.
Ein paar Minuten später schlief sie tief und fest.
Magdalena spülte, klappte den Klodeckel runter und wusch sich die Hände. Dann setzte sie sich vorsichtig wieder auf die Toilette und sah sich in Jeanettes dekoriertem Badezimmer um.
Durch die Tür drang gedämpft »Forever Young« von Alphaville, aber die fröhlichen Stimmen von Jeanette und Lisa waren nicht mehr zu hören. Vielleicht waren sie in die Küche gegangen, um mehr Wein zu holen.
Magdalena schloss die Augen und atmete – ein, aus, ein, aus – und versuchte, sich so, wie sie es gelernt hatte, darauf zu konzentrieren, wie es sich anfühlte, wenn die Luft durch die Nase strich. Wenn sie Luft einsog, wurde es in den Nasenlöchern ein wenig kalt. Ein, zwei, drei … Der Druck auf der Brust ließ ein wenig nach.
Als Jeanette angerufen und sie geweckt hatte, musste sie über vier Stunden geschlafen haben. Sich wieder in die Wirklichkeit zurückzukämpfen hatte sich fast so angefühlt, als würde sie aus einer Narkose aufwachen. Langsam, auf zittrigen Beinen, hatte sie geduscht, sich geschminkt, die Haare geföhnt. Sie würdigte das Kleid mit dem
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