Mädchen im Schnee
erlebt.
Nach einer Weile sah sie wieder auf und versuchte, jemanden zu entdecken, den sie kannte, aber vergebens. Doch, da war einer. War das nicht Hasse aus der Parallelklasse? Als ihre Blicke sich begegneten, lächelte sie, aber er verzog keine Miene. Ganz beiläufig drehte er sich stattdessen um, sodass er ihr den Rücken zukehrte.
Was war das denn jetzt?, fragte sie sich. Ob er sie nicht wiedererkannte? Denn er war es doch, oder?
Das Nachdenken brachte den Körper aus dem Takt, und sie merkte, dass sie müde und durstig war. Vorsichtig fing sie an, sich seitwärts durch die Menge zu schieben, herunter von der Tanzfläche zur Bar.
Während sie auf ihr Heineken wartete, streckte sie sich, um noch mal nach Jeanette und Lisa Ausschau zu halten, doch die schienen spurlos verschwunden zu sein. Vielleicht sind sie ja draußen und rauchen, dachte sie.
»Wie gefällt es dir in dem Haus? Ist es schön?«
Magdalena drehte sich zu der Stimme herum. Sie gehörte Hasse, der ein großes Bier in der Hand drehte.
»Supergut. Danke der Nachfrage.«
»Ja, es ist ein schönes Haus.«
»Ach ja?«
Was war denn mit dem los?
»Das Haus hat meinen Großeltern gehört. Wusstest du das? Sie haben es gebaut.«
»Nein, das wusste ich nicht.«
Magdalena nahm einen Schluck Bier und stellte die Flasche auf den Tresen zurück.
»Als Kind war ich fast jeden Tag nach der Schule dort. Als Großvater im Sommer gestorben ist, wollten Ann und ich das Haus übernehmen. Neunhunderttausend konnten wir bieten, aber damit war unsere Grenze erreicht. Mein Vater freute sich, dass das Haus in der Familie bleiben würde – es bedeutet uns sehr viel. Und eine bessere Lage kann man kaum finden, mit Grundstück zum See und Steg und allem. Aber meine Tante, diese verdammte geldgierige Alte, war nur an einer einzigen Sache interessiert, nämlich so viel Geld wie möglich rauszuschlagen. Die muss gejubelt haben, als du uns, zwei Tage bevor wir den Vertrag unterschreiben wollten, überboten hast. Mein Vater konnte nichts tun, um uns zu helfen.«
Wenn Hasse nicht so aggressiv geklungen hätte, dann hätte Magdalena größeres Verständnis für ihn gehabt. Sie wusste selbst, wie viel ein Haus einem bedeuten konnte, und erinnerte sich, wie traurig sie gewesen war, als ein paar Jahre zuvor das Sommerhaus ihres Großvaters in der Nordmark verkauft worden war.
»Davon hatte ich keine Ahnung, und ich kann verstehen, dass das schlimm für dich ist. Aber trotzdem, Hasse, was hat das denn mit mir zu tun?«
»Was das mit dir zu tun hat? Rein gar nichts. Es ist dein volles Recht, hierherzukommen wie irgendein verdammter Millionär und das Geld nur so herumzuwerfen und eine neue Küche reinzuknallen, ohne dir irgendwas dabei zu denken. Aber man kann nicht alles für Geld kaufen. Erinnerungen und Geschichte nämlich zum Beispiel nicht.«
»Ich finde, du bist ungerecht. Habt ihr wirklich geglaubt, dass sich nicht noch mehr Leute für dieses schöne Haus interessieren würden? Und die Küche war aus den Siebzigern.«
Langsam wurde Magdalena wütend. Worauf wollte er denn hinaus? Sollte sie sich dafür rechtfertigen, dass sie die Küche in ihrem eigenen Haus renoviert hatte?
Hasse kippte das halbe Bier hinunter, ehe er antwortete.
»Natürlich haben wir das nicht gedacht. Aber wir haben nicht damit gerechnet, dass kurz vor Schluss jemand kommen und uns überbieten würde, ohne auch nur das geringste Interesse an der Geschichte des Hauses zu zeigen.«
»Tut mir leid, aber ich möchte darüber jetzt nicht mehr reden.«
»Nein, und ich will das auch nicht, das sage ich dir. Jetzt hoffe ich nur, dass du dich in dem Haus ebenso wohl fühlen wirst, wie wir und unsere Kinder es getan hätten. Es ist eben doch so: Wer viel hat, der kriegt immer noch mehr.«
Ehe Magdalena antworten konnte, hatte Hasse den Rest seines Bieres hinuntergekippt und war in Richtung Toiletten verschwunden. Sie nahm auch noch ein paar Schlucke und blieb mit der Flasche in der Hand stehen.
Wer viel hat, der kriegt immer noch mehr. Jetzt wollte sie nur noch nach Hause.
Hagfors lag still und dunkel da, als Magdalena über die Brücke ging. Das Eis bedeckte fast den ganzen Fluss, nur ein schmaler Streifen in der Mitte war noch offen. Links sah sie den Zaun vom Eisenwerk und die großen, heruntergekommenen Gebäude, die hinter den Bäumen aufragten.
Sie war stolz auf dieses Industriegebiet, wo schon ihre beiden Großväter ihr Leben lang gearbeitet hatten. Und ehe der Niedergang kam, hatte auch
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