Mädchen im Schnee
nehme das mal nicht persönlich …
Ich habe noch mehr Kopfschmerzen verdient, als ich ohnehin schon habe, dachte sie und schlug die Stirn gegen die Knie.
Wenn sie daran dachte, wie Petter ihr in die Augen gesehen hatte und seine Hand um die ihre geschlossen hatte, als sie bezahlen wollte, durchfuhr sie ein Schauer.
Was ist bloß los mit mir?
Doch dann musste sie wieder an das Bild von Ebba mit ihrem runden Schwangerenbauch denken, die so selbstverständlich mit Nils zusammen unter dem Sonnenschirm gesessen hatte. Ihr kleiner Junge würde großer Bruder werden. Ludvig würde ihm ein Geschwisterchen schenken.
Das werde ich nie können, dachte sie. Wie soll ich es wagen, wieder jemandem zu vertrauen? Wie soll ich es wagen, noch einmal jemanden hereinzulassen?
Sie nahm so viel Shampoo, wie sie sich traute, und massierte es schnell ins Haar. Kosta wurde immer so wütend, wenn sie länger duschte. Die Beulen auf dem Hinterkopf taten weh, aber es kam kein Blut mehr heraus. Nicht einmal ein bisschen hellrotes. Den übrigen Körper rührte sie nicht an. Das Shampoo lief ihren Rücken hinab, sie nahm den Duschkopf und ließ die Wasserstrahlen vorsichtig über ihren Hintern und Unterleib spülen.
»Ich heiße Sonya«, murmelte sie leise. »Ich heiße Sonya, und es gibt mich nicht.«
Das neue Härtegefühl über dem Bauch machte ihr Angst. Sie hatte versucht, sich zu erinnern, wann sie das letzte Mal ihre Tage gehabt hatte, aber das war unmöglich. Die Nächte, die Tage, die Dunkelheit, die Männer – das ging alles ineinander über.
Ich muss nach Hause, dachte sie. Bei der nächsten Gelegenheit, die sich bietet, fackele ich nicht lange. Es ist alles egal. Am Ende werde ich sowieso sterben.
Das Zentrum von Filipstad lag im Sonntagabenddämmer. Magdalena hatte sich bei der Bushaltestelle an das hintere Ende des großen, leeren Parkplatzes zwischen dem Coop und dem Karlstadsvägen gestellt, sich aber entschieden, im Auto zu bleiben, bis der Bus aus Stockholm hielt.
An der Tankstelle hatte sie eine Tüte Süßigkeiten gekauft und sie gleich aufgemacht, nachdem sie den Motor abgestellt hatte.
Um auf keinen Fall zu riskieren, nicht rechtzeitig da zu sein, sodass Nils ganz allein auf sie hätte warten müssen, war sie extrem früh eingetroffen. Es war immer noch eine Viertelstunde bis zur Ankunft des Busses.
Ich sollte Nils ein eigenes Handy geben, dachte sie und steckte sich zwei Bonbons in den Mund. Falls etwas passiert.
Da kam der Bus.
Ehe sie ausstieg und das Auto abschloss, faltete Magdalena die Tüte zusammen und versteckte sie im Türfach. Dann lief sie schnell zur Haltestelle.
Nils stolperte die Treppe hinunter, er hatte die Jacke zugeknöpft, den Rucksack auf dem Rücken und warf sich in ihre Arme.
»Er war schon eine ganze Weile lang zum Aussteigen bereit«, sagte der Busfahrer, als er die Klappe zum Gepäckfach aufmachte und Nils’ Tasche herauszog.
»Ist alles gut gelaufen?«
Die Frage richtete Magdalena sowohl an Nils als auch an den Busfahrer.
»Schon, aber es ist für einen Jungen in dem Alter doch eine ganz schön lange Strecke so allein«, meinte der Busfahrer.
Nils antwortete nicht, sondern umarmte sie nur noch fester.
»Ja, das ist es«, sagte Magdalena leise. »Vielen Dank.«
Nils klammerte sich an ihr fest.
»Schatz, sollen wir jetzt mal nach Hause fahren? Das Auto steht dahinten.« Magdalena versuchte, Nils dazu zu bringen, loszulassen. »Du musst allein gehen; ich kann nicht dich und die Tasche tragen.«
Widerwillig lockerte Nils seine Umklammerung und glitt auf den Boden. Er hatte immer noch keinen Laut von sich gegeben.
»War es nervig, so lange im Bus zu sitzen?«, fragte Magdalena, die jetzt die Tasche in der einen und Nils’ Hand in der anderen Hand hatte.
Nils nickte.
»Du warst wirklich tapfer.«
Magdalena fühlte sich schlecht, weil der Busfahrer sie zurechtgewiesen hatte. Das Schweigen von Nils machte die Sache nicht besser.
»Willst du auf dem Nachhauseweg vorn sitzen?«
Sie hörte selbst, wie angestrengt fröhlich ihre Stimme klang.
»Von mir aus.«
Sonst liebte Nils es, vorn zu sitzen, und er quengelte oft deswegen. Jetzt schien es ihm völlig egal zu sein.
»Und ich habe auch Süßigkeiten im Auto.«
»Ich habe schon die Bonbons gegessen, die ich von Papa gekriegt habe.«
Magdalena hob die Tasche in den Kofferraum und legte Nils’ Sitzerhöhung auf den Beifahrersitz. Nils stand mit hängenden Armen schweigend dabei.
Magdalena fuhr auf den Karlstadsvägen und
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