Mädchen im Schnee
Zeit ab.
Ich glaube, als wir in Kostas Auto stiegen, hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte. Zu gern hätte ich Anas Blick gesucht, versucht, sie zu erreichen, aber ich war immer noch zu stolz, um zugeben zu können, wie ängstlich ich plötzlich war.
Die beiden Männer drehten sich um und sahen uns an, wie um uns abzuschätzen, dann ließ Kosta den Wagen an und fuhr los.
Das Herz schlug mir heftig in der Brust. Nicht einmal als ich die Hotelbroschüre aus der Tasche nahm, wich die entsetzliche Sorge. Schließlich schlief ich ein und wachte erst wieder auf, als das Auto vor einem ungestrichenen Holzhaus zum Stehen kam. Die Sonne ging gerade hinter einer baufälligen Scheune unter. Auf dem Hof standen noch mehrere Autos.
»Sind wir jetzt in Deutschland?«, fragte ich leise.
Kosta lachte laut.
»Ja, wir sind da«, sagte er.
Das war kein Hotel, und Kostas Lachen passte überhaupt nicht zu seinem finsteren Blick. Nichts passte zusammen. Wo waren wir nur?
Als sie die Türen aufmachten, um uns rauszulassen, hatte ich solche Angst, dass die Beine mich kaum mehr trugen. Ich wollte wegrennen, konnte aber nicht.
Aber Ana konnte. Großmutter, du hättest sehen sollen, wie sie rannte. Wie ein Blitz fuhr sie aus dem Auto, über den Hof und hinaus auf die Straße. Ich habe sie noch nie so schnell rennen sehen.
Kosta setzte ihr nach. Obwohl er dick wie eine Kugel ist, konnte er auch rennen, und mit seinen langen Beinen holte er Meter um Meter auf. Ungefähr hundert Meter von dem Auto entfernt warf er sich mit einem Brüllen über Ana und fing an, ihren Kopf auf die Erde zu donnern.
Er schlug und schlug, bis der ältere Mann ihm zurief, er solle aufhören.
Ana lag ganz still auf dem Boden, so still, dass ich schon dachte, sie sei tot. Kosta warf sie sich über die Schulter, als wäre sie ein Sack Kartoffeln. Ihre Haare, die voller Lehm und Erde waren, wippten hin und her.
Der andere Mann schob mich vor sich in das Haus. Sie machten Dinge mit uns, Großmutter, von denen ich nie, nie, nie erzählen werde.
20
Magdalena sah sich gründlich um, ehe sie am Mon tagmorgen zum Briefkasten ging, doch dann blieb sie wie vom Donner gerührt mit der Zeitung in der Hand stehen.
Hedda Losjö tot aufgefunden. Verdacht auf Mord. Die Nachricht stand ganz oben auf der ersten Seite des Värmlandsbladet .
Hedda Losjö ermordet? Das konnte doch nicht wahr sein. Und wie war es möglich, dass sie das den ganzen Sonntag über verpasst hatte? Hatte sie wirklich weder die Nachrichten angeschaut noch Radio gehört?
Magdalena überflog den Artikel, während sie, ohne hinzuschauen, die Treppe hinaufstieg.
Zwei ermordete Mädchen in der Gegend um Gustavsfors innerhalb von wenigen Wochen. Eine völlig unbekannt, die andere ein scheinbar völlig normaler Teenager. Was war hier eigentlich los? Jetzt muss ich mich aber mal zusammenreißen, dachte sie.
Sven Munther baute sich mit einem roten Filzstift vor dem Whiteboard auf.
»Nun, meine Lieben, haben wir alle was zu beißen gekriegt. Zwei tote Mädchen.«
Er malte ganz oben auf die Tafel zwei Kreise nebeneinander. In den einen schrieb er »Hedda«, in den anderen machte er ein Fragezeichen.
»Zwei Mädchen, ungefähr im selben Alter. Beide in der Nähe von Gustavsfors gefunden, die eine bekleidet, die andere nackt. Die eine vermisst gemeldet, die andere von niemandem vermisst.«
Unter die beiden Kreise schrieb er einige Notizen.
»Wie hängt das zusammen? Hängt es überhaupt zusammen?«
Munther machte eine kleine Pause und ließ den Blick über die Kollegen am Konferenztisch schweifen.
Petra fühlte sich nach der Entladung am Vortag immer noch erschöpft, hatte aber, als sie ins Büro kam, die Fragen von Folke wie auch von Munther überhört. Mitleid konnte sie jetzt nicht ertragen.
Urban auf der anderen Seite des Tisches schien interessierter als gewöhnlich, während Christer immer noch krankgeschrieben war. Petra wollte gar nicht darüber spekulieren, ob es da vielleicht einen Zusammenhang gab.
»Heddas Leiche ist nach Linköping geschickt worden«, sagte Munther, »und in Anbetracht ihrer seltsamen Verletzungen denke ich, dass es eine Weile dauern wird, bis wir einen vollständigen Bericht von dort erhalten.«
»Doch es besteht kein Zweifel, dass sie es ist?«, fragte Petra.
»Nein. Sie hatte ein Handy in der Tasche, das ihre Eltern bereits identifiziert haben. Außerdem war in die Jacke ihr Name eingenäht. Offensichtlich handelt es sich um ein
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