Mädchen im Schnee
Gesicht.
Magdalena, die neben der Badewanne auf dem Toilettensitz saß, blickte ernst auf ihre Armbanduhr.
»Vier.«
»Noch mal. Jetzt werde ich den Rekord brechen. Sag du Achtung, fertig, los, Mama.«
»Bist du bereit?«
Nils nickte eifrig.
»Okay. Achtung, fertig … Los!«
Nils füllte die Backen mit Luft und verschwand wieder unter dem Schaum. Wasserdampf hing im Raum, der Spiegel über dem Waschbecken war beschlagen. In der fünften Sekunde kam Nils wieder an die Oberfläche.
»Wie viel? Wie viele Sekunden?«
»Fünf!«
»Rekord!«, rief Nils und grinste breit, ohne sich um den Schaum zu scheren, den er in den Mund bekam.
»Sehr gut.«
Magdalena versuchte, sich auf das Spiel zu konzentrieren. Zuerst war sie seine Schwimmlehrerin gewesen und hatte ihm verschiedene Aufträge geben –, wie ein Fisch schwimmen, wie eine Kaffeemaschine blubbern, mit der Nase den Boden der Badewanne berühren – und dann war es Zeit für den Rekord im Luftanhalten gewesen.
Normalerweise machte es ihr keinen Spaß, in diese Rollenspiele gedrängt zu werden, aber heute Abend war es eine willkommene Möglichkeit, um auf andere Gedanken zu kommen.
»War ja wohl klar, dass du nicht zur Polizei gehen solltest, du Idiotin.«
Es hatte sich herausgestellt, dass die neue Tür zwei Wochen Lieferzeit hatte. Zwei ganze Wochen. Das kam ihr wie eine Ewigkeit vor.
Und Hedda Losjö war erdrosselt worden.
Nils’ fröhliches Gesicht tauchte wieder auf, und sie hatte plötzlich ein schlechtes Gewissen.
Ich muss mich mehr bemühen, mir wirklich Zeit zu nehmen, mich auf ihn einzulassen und zuzuhören. Sie merkte, wie sehr die Scheidung und die beiden Umzüge ihre Beziehung zu Nils beeinflusst hatten, und wie sie im letzten Jahr oft mit den Gedanken woanders gewesen war. Das würde jetzt anders werden, gelobte sie sich.
Als Nils sich für einen weiteren Rekordversuch bereit machte, klingelte ihr Handy.
»Du kannst noch ein Weilchen baden, wenn du möchtest. Ich gehe nur eben ran.«
Magdalena schauderte, als sie die Tür aufmachte und ihr die kühle Luft entgegenschlug. Auf dem Weg in die Küche nahm sie den Strickschal mit, der auf der Sofalehne lag.
Es war Petter.
»Hallo«, sagte Magdalena und klemmte sich das Telefon zwischen Kinn und Schulter, während sie sich den Schal um die Schultern warf.
»Störe ich?«, fragte er.
Sag es mir, wenn ich störe, sagte er, als er kam, dann gehe ich sogleich. Du störst nicht nur, antwortete ich, du bringst meine ganze Existenz durcheinander. Willkommen.
Das alte Gedicht von Eeva Kilpi fiel ihr plötzlich wie aus dem Nichts wieder ein. Wie lange hatte sie es nicht gelesen?
»Nein, du störst nicht«, sagte Magdalena und setzte sich an den Küchentisch.
»Sicher?«
»Ganz sicher. Nils sitzt in der Badewanne. Er hat gerade den Rekord im Luftanhalten gebrochen. Fünf Sekunden.«
»Oha. Sieh mal einer an.« Petter lachte leise. »Ich werde mich auf jeden Fall kurz fassen. Hast du Lust, am Samstag zu mir zum Abendessen zu kommen?«
Magdalena schwieg. Abendessen? War das so eine gute Idee?
»Du kannst ja noch mal darüber nachdenken«, fuhr er fort, »während du gleichzeitig über all die anderen Dinge nachdenkst. Was immer es auch ist, worüber du grübelst.«
Magdalena schloss die Augen.
»Bist du noch dran?«, fragte Petter.
»Ja, ja, klar. Ich komme gern. Nils wird das Wochenende bei seinem Vater verbringen.«
»Das freut mich wirklich«, sagte Petter jetzt etwas lauter. »Ja, ich kann mir vorstellen, dass du um diese Uhrzeit einiges zu erledigen hast. Aber wir hören bald wieder voneinander.«
Magdalena sagte Hallohallo, legte auf und lächelte. Samstag .
Plötzlich ertönte ein Knall. Sie fuhr zusammen und sah sich um. Was war das? Es klang, als wäre der Lärm unten gewesen, direkt unter ihr. Ob ein Umzugskarton im Keller umgefallen war? Aber das konnte eigentlich nicht sein.
Die Angst schnürte ihr die Kehle zu.
War jemand im Haus?
Magdalena hatte den Blick fest auf die Kellertür im Flur geheftet. Gleich wird die Klinke heruntergedrückt, dachte sie. Gleich wird irgendein Wahnsinniger durch die Tür kommen.
Doch es geschah nichts. Und es war auch kein Geräusch mehr von unten zu hören.
»Mama!«
Magdalena räusperte sich und wollte antworten, aber Nils rief schon wieder.
»Maaamaa! Ich will nicht mehr baden!
Sie stand ungelenk auf und ging ins Bad. Sie vermied es aber, an der Kellertür vorbeizuschleichen, und ging wie zuvor durchs Wohnzimmer.
Ich bilde mir das
Weitere Kostenlose Bücher