Mädchen im Schnee
bloß ein, sagte sie sich. Ich rege mich völlig unnötig auf. So ist es.
Petra klopfte zaghaft an Nellies Tür. Während sie auf ein »Herein« wartete, betrachtete sie ärgerlich die zahllosen Reste von den alten Klebestreifen, mit denen Nellie stur ihre Tür tapeziert hatte. Die Poster waren seit Langem verschwunden, und die Tür war nie abgeschrubbt worden.
Als eine Antwort ausblieb, klopfte sie noch einmal, diesmal energischer.
»Ja, komm rein.«
Nellie klang müde. Vorsichtig öffnete Petra die Tür und versuchte, fröhlich und entspannt auszusehen.
»Darf ich kurz reinkommen?«
»Klar«, erwiderte Nellie, klappte den Laptop zu und lehnte sich an die Wand.
Petra setzte sich auf den Schreibtischstuhl.
»Wir haben noch gar nicht richtig über das Wochenende reden können.«
»Tut mir leid, dass ich nicht angerufen habe. Das war dumm von mir.«
»Das vergessen wir jetzt mal«, sagte Petra. »Es ist erledigt, und es ging ja gut. Wie war’s denn?«
»Gut.«
Nellie bog ihre Finger einen nach dem anderen durch, bis die Gelenke knackten.
»Was habt ihr denn so gemacht?«
»Nichts Besonderes.«
»Aber irgendetwas müsst ihr doch ein ganzes Wochenende lang gemacht haben, wenn du nicht mal Zeit gefunden hast, zu Hause anzurufen.«
»Ist das hier irgendein Polizeiverhör, oder was?«, fragte Nellie säuerlich.
Was war eigentlich mit ihr los? Konnte sie nicht auf eine ganz gewöhnliche Frage antworten?
»Also habt ihr das ganze Wochenende über gar nichts gemacht.«
»So ähnlich.«
Nellie knackte noch einmal mit den Fingern, diesmal nicht mehr so laut.
Petra begriff, dass das Gespräch beendet war, und stand auf, warf Nellie jedoch einen letzten Blick zu in der Hoffnung, sie würde doch noch etwas sagen. Nellie griff wieder nach dem Laptop und klappte den Bildschirm auf.
»Mach nicht mehr so lange«, sagte Petra und schloss die Tür.
Als Nils eingeschlafen war, suchte Magdalena im ganzen Haus nach einem Schlüssel, der auf die Kellertür passte. Der einzige, den sie finden konnte, steckte in der Tür des kleinen Zimmers auf der Ostseite, das einmal Gästezimmer werden sollte. Dieser Schlüssel passte zu allen Schlafzimmertüren im oberen Stockwerk, aber nicht zur Kellertür.
Ich muss mich beruhigen, dachte sie. Ich muss. Nichts wird besser, wenn ich Angst habe und Nils damit womöglich noch verunsichere.
Ehe sie nach oben ging, klemmte sie jeweils einen Stuhl unter die Klinke von Haustür und Kellertür.
Nils lag auf dem Rücken und schlief, die Arme über dem Kopf gekreuzt, den Mund geöffnet.
Wie entspannt er aussieht, dachte Magdalena. Und so unbeschreiblich schutzlos.
Dann tat sie etwas, das sie noch nie zuvor getan hatte. Sie ging in ihr Schlafzimmer und holte ihre Decke, nahm sie mit in Nils’ Zimmer, schob ihn ein wenig beiseite und legte sich neben ihn in das kleine Bett.
Aber zuerst schloss sie die Tür ab.
22
Petra stellte eine Kaffeetasse auf Christers Schreibtisch. Ihre Kopfschmerzen waren nicht mehr ganz so schlimm wie am Vortag.
»Wie schön, dass du wieder da bist«, sagte sie und lehnte sich an den Türrahmen. »Ich habe dich vermisst.«
Christer nahm einen kleinen Schluck Kaffee.
»Ja, und schon ist man wieder im Wespennest«, sagte er und betrachtete den Inhalt der Tasse.
Er sah immer noch nicht richtig fit aus.
»Stimmt es, dass Hedda Losjö erdrosselt wurde? Das steht heute im Värmlandsbladet «, sagte er schließlich.
»Ja«, erwiderte Petra. »Gestern Nachmittag haben wir den vorläufigen Bericht erhalten. Aber ich habe das nicht an die Zeitung weitergegeben, ich schwöre.«
Sie machte mit einer Hand eine übertrieben abwehrende Geste, um Christer ein wenig aus der Reserve zu locken.
Als er weiterhin stumm in seine Tasse starrte, fuhr Petra fort:
»Hast du gehört, dass wir gestern eine Durchsuchung in diesem Bordell durchgeführt haben? Die Kaffeemaschine in der Küche war noch warm, als wir in die Wohnung kamen, aber es war kein Mensch dort.«
»Oh, so ein Pech.«
Oh, so ein Pech . War das alles, was er dazu zu sagen hatte?
»Sag mal, wie geht es dir eigentlich?« Petra versuchte, Christers Blick einzufangen. »Ist alles in Ordnung?«
»Doch, ja – was sollte denn sein?«
»Woher soll ich das wissen?«, meinte Petra. »Du bist irgendwie komisch. Aber schön, dass du wieder da bist. Sollen wir gehen? Die Besprechung beginnt gleich.«
Magdalena legte die Länstidningen auf den Schreibtisch und blätterte den ersten Teil durch.
Ha!, dachte sie. Endlich
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