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Maedchen mit begrenzten Moeglichkeiten

Maedchen mit begrenzten Moeglichkeiten

Titel: Maedchen mit begrenzten Moeglichkeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Muriel Spark
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dringend nötig ein Autor einen Barbetrag brauchte oder ihm, George, genau mitteilte, an welchem Teil des Manuskripts er Kritik üben solle – es war gewöhnlich gerade der Teil, auf den der Autor besonders stolz war –, um beim Autor auf den geringsten Widerstand zu stoßen, wenn nicht gar seinen totalen Zusammenbruch herbeizuführen.
    George hatte nacheinander drei junge Frauen gewonnen, und zwar durch seine unermüdliche Beredsamkeit über ‹die Welt der Bücher›, die ihnen erhebend und edel erschien. Zwei von ihnen hatte er inzwischen verlassen – nicht etwa sie ihn. Bislang war er auch noch nicht bankrott erklärt worden, obgleich er im Laufe der Jahre verschiedene und höchst verwickelte Neuorganisationen seines Geschäftes durchgeführt hatte, denen auf legale Weise zu begegnen vermutlich für die Nerven seiner Gläubiger zu viel gewesen war. Jedenfalls hatte es nie einer versucht.
    George ließ sich Janes Training im Umgang mit Autoren sehr angelegen sein. Ganz im Gegensatz zur Beredsamkeit am Kamin seiner Frau Tilly gegenüber, waren seine Ratschläge für Jane im Büro eher verstohlen, denn im zwielichtigen Teil seines Innern war er mehr oder weniger überzeugt davon, daß Autoren listig genug wären, sich unsichtbar zu machen und daß sie also daher immer unter den Bürostühlen von Verlegern einherschwebten.
    «Sehen Sie, Jane, meine Taktik ist ein wesentlicher Teil unseres Gewerbes. Alle Verleger arbeiten so. Auch die großen Verlage, nur machen sie es gewissermaßen automatisch. Die großen Kollegen können es sich leisten, automatisch zu verfahren. Sie können es sich nicht leisten, sich wie ich all diese Umstände einzugestehen, sie würden dabei zu viel Gesicht verlieren. Ich mußte mir jeden Schachzug selber ausarbeiten und mir über alles, was Autoren betrifft, ein klares Bild machen. Als Verleger hat man mit einem launischen Rohmaterial zu tun.»
    Er ging hinüber zu der Ecke, wo ein Vorhang einen Kleiderständer verbarg, zog den Vorhang beiseite, warf einen Blick dahinter, zog ihn wieder zu und fuhr fort: «Betrachten Sie Autoren immer als Ihr Rohmaterial, Jane, wenn Sie in der Welt der Bücher Fuß fassen wollen.» Jane nahm das wörtlich. George hatte ihr neuerdings Nicholas Farringdon zur Bearbeitung überlassen. Er sei ein ungeheures Wagnis, hatte er dazu bemerkt. Jane hielt ihn für knapp über Dreißig. Er war nur als kleines lyrisches Talent bekannt und als Anarchist von zweifelhafter Treue zur Sache. Aber sogar diese Einzelheiten waren Jane zunächst nicht bekannt. Er hatte George ein abgegriffenes Bündel maschinengeschriebener Seiten mitgebracht, das lose in einem braunen Ordner steckte. Das Ganze hieß ‹Sabbat-Notizen›.
    Nicholas Farringdon unterschied sich in einigen bemerkenswerten Zügen von anderen Schriftstellern, die ihr bisher begegnet waren. Der Unterschied lag darin, daß er, ohne es sich bisher anmerken zu lassen, wußte, daß er ‹bearbeitet› wurde. Aber inzwischen hatte sie festgestellt, daß er arroganter und ungeduldiger war als andere Autoren der intellektuellen Spezies. Außerdem bemerkte sie, daß er auch anziehender war.
    Sie hatte einigen Erfolg mit dem sehr intellektuellen Verfasser von ‹Die Symbolik bei Louisa May Alcott› gehabt, ein Buch, das George jetzt sehr gut und flott in gewissen Vierteln Londons verkaufte, da es ein großes lesbisches Thema behandelte. Sie hatte auch einigen Erfolg mit Rudi Bittesch, dem Rumänen, gehabt, der sie häufig im Club besuchte.
    Der Eindruck, den Nicholas auf George gemacht hatte, war aufregender als gewöhnlich, denn George war dabei noch hin und her gerissen zwischen der Anziehung, die ein Buch, das er nicht verstand, stets auf ihn ausübte und der Furcht, es könne ein Fehlschlag werden. George übergab ihn also Jane zur Behandlung und beklagte sich jeden Abend bei Tilly darüber, daß er sich in der Hand eines faulen, unverantwortlichen, unerträglichen und verschlagenen Autors befinde.
    Ein Geistesblitz hatte Jane bei ihrer ersten Begegnung mit einem Schriftsteller eingegeben, ihn zu fragen: «Was ist Ihre raison d’être?» Es hatte Wunder gewirkt. Sie versuchte das bei Nicholas Farringdon, der eines Tages wegen seines Manuskripts im Büro vorsprach, als George gerade in einer Konferenz war, das hieß, sich im hinteren Büro versteckt hielt. «Was ist Ihre raison d’être, Mr. Farringdon?»
    Er blickte sie stirnrunzelnd und unbeteiligt an, als sei sie ein Sprechgerät, das sich selbständig gemacht

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