Maedchen mit begrenzten Moeglichkeiten
vollbringen, die Briefe so abzufassen, daß der Empfänger sich gedrängt fühlte, mit einem handgeschriebenen Dokument zu antworten.
Rudi bezahlte das Schreibpapier und das Porto. Er hatte ihr gesagt, er brauche die Briefe nur aus sentimentalen Gründen für seine Sammlung›. Sie hatte seine Sammlung gesehen. Aber sie vermutete, daß er sie im Hinblick auf ihren von Jahr zu Jahr wachsenden Wert angelegt hatte.
«Wenn ich selbst schreibe, klingt es nicht echt. Ich bekomme keine interessanten Antworten. Außerdem ist mein Englisch nicht das Englisch eines englischen Mädchens.»
Sie hätte sich eine eigene Sammlung angelegt, wenn sie das bare Geld nicht so dringend gebraucht hätte und es sich hätte leisten können, die Briefe für die Zukunft aufzuheben.
«Bitten Sie nie um Geld in Ihren Briefen», hatte Rudi sie gewarnt. «Erwähnen Sie Geld überhaupt nicht. Das gilt als strafbare persönliche Belästigung unter Vorspiegelung falscher Tatsachen.»
Sie hatte jedoch den Geistesblitz, ihr Postskriptum hinzuzufügen, um ganz sicher zu gehen.
Zuerst hatte Jane befürchtet, sie könnte erwischt werden und Unannehmlichkeiten haben. Rudi beruhigte sie. «Sie sagen, es handelt sich nur um einen Scherz. Das ist nicht strafbar. Wer übrigens soll das nachprüfen? Glauben Sie, daß Bernard Shaw Ihrer alten Tante schreiben und Auskünfte über Sie einholen wird? Bernard Shaw ist schließlich wer.»
Bernard Shaw war tatsächlich eine Enttäuschung gewesen. Er hatte eine maschinengeschriebene Postkarte geschickt:
Dank für Ihren Brief, in dem Sie meine Arbeiten loben. Da Sie sagen, sie hätten Sie in Ihrem Unglück getröstet, will ich nicht den Versuch machen, diesen Eindruck nachträglich noch mit persönlichen Worten zu unterstreichen. Da Sie sagen, daß Sie kein Geld brauchen, will ich Ihnen auch nicht meine Unterschrift aufdrän gen, die einen gewissen Barwert hat.
G. B. S.
Auch die Initialen waren maschinengeschrieben. Jane lernte durch Erfahrung. Der Brief, in dem sie ihr uneheliches Kind erwähnte, brachte ihr ein mitfühlendes Schreiben von Daphne du Maurier ein, für das Rudi den festgesetzten Preis zahlte.
Bei einigen Autoren verfing eine wissenschaftlich klingende Frage über den verborgenen Sinn ihres Werkes am besten. Eines Tages schrieb sie – wieder einem Geistesblitz folgend – an Henry James über den Athenaeum Club.
«Das war töricht von Ihnen, weil, nebenbei bemerkt, James tot ist», sagte Rudi.
«Wollen Sie einen Brief von einem Autor namens Nicholas Farringdon?» fragte sie.
«Nein, ich kenne Farringdon, er taugt nichts, er wird sich nie einen Namen machen. Was hat er denn geschrieben?»
«Ein Buch mit dem Titel ‹Sabbat-Notizen›.»
«Etwas Religiöses?»
«Na, er nennt es eine politische Philosophie. Es ist eigentlich nur eine Sammlung von Notizen und Gedanken.»
«Es riecht nach Religion. Er wird noch als reaktionärer Katholik enden und dem Papst gehorchen. Ich habe das schon vor dem Krieg vorausgesagt.»
«Er sieht verdammt gut aus.»
Sie haßte Rudi, er war nicht im geringsten attraktiv. Sie schrieb die Adresse auf den an Hemingway gerichteten Brief, frankierte ihn, hakte seinen Namen in der Liste ab und notierte daneben das Datum. Die Stimmen der Mädchen im Waschraum waren verstummt. Annes Radio sang:
Engel speisten abends froh im Ritz
Die Nachtigall, die sang am Berkeley Square.
Es war zwanzig Minuten nach sechs, gerade noch Zeit für einen weiteren Brief vor dem Abendbrot. Jane sah auf die Liste.
Sehr verehrter Mr. Maugham,
ich richte diesen Brief an die Adresse Ihres Clubs …
Jane hielt inne, um nachzudenken. Sie aß ein Stück Schokolade, um ihr Gehirn bis zum Abendessen in Gang zu halten. Der Gefängnisbrief würde Maugham vielleicht nicht ansprechen. Rudi hatte gesagt, er sei zynisch, was die menschliche Natur anginge. Ein erneuter Geistesblitz erinnerte sie daran, daß er Arzt gewesen war. Vielleicht war es eine gute Idee, einen Sanatoriumsbrief aufzusetzen. Zum Beispiel: Sie war zwei Jahre und vier Monate krank gewesen – Tuberkulose. Schließlich konnte man dieses Leiden ja nicht der menschlichen Natur zuschreiben, es gab also keinen Grund, zynisch zu sein. Sie bedauerte, die Schokolade gegessen zu haben und legte den Rest des Riegels ganz hinten in ein Fach des Schrankes, wo man nur schwer dran konnte, so als müßte sie ihn vor einem Kind verstecken. Wie recht sie damit tat und wie unrecht es gewesen war, überhaupt Schokolade zu
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