Maedchen mit begrenzten Moeglichkeiten
«Scheißpech. Bin beschattet. Komm zur Hochzeit!»
Als Antwort auf die Frage nach ihrer Seife bemerkte Jane: «Kannst du mir bis zum nächsten Freitag fünfzehn Shilling leihen?» Es war ihr letzter Ausweg, um die anderen loszuwerden, wenn sie bei ihrer ‹geistigen Arbeit› war.
Den Geräuschen nach zu urteilen war Nancy Riddle im Fenster steckengeblieben und fing an hysterisch zu werden. Schließlich wurde sie befreit und beruhigt, wie sich wiederum den englischen Standardlauten entnehmen ließ, die aus dem Waschraum drangen und nach und nach die Midland-Vokale verdrängten.
Jane setzte ihre Arbeit fort – ‹ohne Rücksicht auf Verluste, wie sie es für sich nannte. Der ganze Club, angesteckt vom Air Force-Jargon, der unter den Schlafsaal-Jungfrauen üblich war, benutzte diese Wendung unausgesetzt.
Sie hatte Nicholas’ Manuskript zunächst beiseite gelegt, es war ein mißliches Stück Arbeit. Zudem hatte sie auch das Thema des Buches noch nicht ganz begriffen, was ja schließlich nötig war, um eine bedeutungsvolle Passage herauszufinden, die man der Kritik unterwerfen konnte. Allerdings hatte sie sich schon eine Bemerkung zurechtgelegt, die sie George empfehlen wollte: «Glauben Sie nicht, daß dieser Teil ein wenig abwegig ist?» Das war wieder solch ein Geistesblitz von Jane gewesen.
Sie hatte das Manuskript beiseite gelegt und machte sich nun an eine ernsthafte Extraarbeit, für die sie auch bezahlt wurde. Das gehörte in jenen Sektor ihres Lebens, der mit Rudi Bittesch zu tun hatte, den sie damals gerade wegen seines unattraktiven Äußeren haßte. Er war zu alt für sie, von allem anderen ganz abgesehen. Wenn sie deprimiert war, fand sie es nützlich, sich daran zu erinnern, daß sie erst zweiundzwanzig war, eine Tatsache, die sie heiterer stimmte. Sie überlas Rudis Liste berühmter Autoren und ihre Adressen, um zu sehen, wer noch erledigt werden mußte, nahm einen Briefbogen, schrieb die Adresse ihrer Großtante auf dem Lande darauf und das Datum und begann:
Sehr verehrter Mr. Hemingway,
ich richte diesen Brief an die Adresse Ihres Verlegers, im Vertrauen darauf, daß er Ihnen nachgesandt wird.
Die Einleitung war ratsam, meinte Rudi, denn einige Verleger waren gehalten, die Briefe an ihre Autoren zu öffnen und wegzuwerfen, falls sie geschäftlich nicht hinreichend interessant schienen. Eine solche Ansprache aber könnte die Herzen der Verleger rühren, wenn der Brief in ihre Hände fiel. Der Rest des Briefes war ganz und gar Janes Werk. Sie machte eine Pause, um einen kleinen Geistesblitz abzuwarten und fuhr dann fort:
Ich bin sicher, daß Sie viele Briefe von Bewunderern erhalten und habe lange gezögert, diesen noch einen weiteren hinzuzufügen. Aber seit ich aus dem Gefängnis entlassen wurde, wo ich zwei Jahre und vier Monate zugebracht habe, ist es mir ein immer dringenderes Anliegen, Ihnen zu sagen, wieviel mir Ihre Romane während dieser Zeit gegeben haben. Ich hatte nur wenige Besucher. Die mir wöchentlich zustehenden Freistunden verbrachte ich in der Bibliothek. Sie war leider ungeheizt, aber ich spürte die Kälte nicht, während ich las. Kein Buch hat mir soviel Mut gegeben, der Zukunft entgegenzusehen und nach meiner Freilassung ein neues Leben aufzubauen, wie ‹Wem die Stunde schlägt›. Der Roman hat mir meinen Glauben an das Leben zurückgegeben.
Ich möchte nur, daß Sie das wissen und Ihnen dafür danken.
Hochachtungsvoll
Ihre
(Miss) J. Wright
PS. Dies ist kein Bittbrief. Ich versichere Ihnen, daß ich jeden Geldbetrag zurücksenden würde.
Wenn dieser Brief ihn wirklich erreichte, so könnte das eine handgeschriebene Antwort bringen. Beim Gefängnis- und beim Anstaltsbrief konnte man eher mit einer handgeschriebenen Antwort des Autors rechnen, als bei irgendeinem anderen Briefmodell. Allerdings mußte man schon einen ‹Autor mit Herz› wählen, wie Rudi das nannte. Autoren ohne Herz antworteten überhaupt selten und wenn, dann nur mit einem maschinengeschriebenen Brief. Für einen maschinengeschriebenen Brief mit der Unterschrift des Autors zahlte Rudi zwei Shilling, wenn ein solches Autograph selten war. Konnte man aber die Unterschrift des betreffenden Autors überall bekommen und war der Brief nichts anderes als eine formelle Bestätigung, zahlte Rudi gar nichts. Für den handgeschriebenen Brief eines Autors zahlte Rudi fünf Shilling für die erste Seite und einen Shilling für jede weitere. Janes Erfindungsgabe mußte also das Kunststück
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