Maedchen mit begrenzten Moeglichkeiten
will Anarchie. Was will er nun eigentlich? Die beiden sind Feinde im Verlauf der ganzen Geschichte. Einfache Antwort – er ist ein Wirrkopf.»
«Wie alt war der Hausierer?» fragte Jane.
«Und noch einmal», ertönte Joannas Stimme aus dem oberen Fenster.
Dorothy Markham hatte sich zu den Mädchen auf der sonnigen Terrasse gesellt. Sie erzählte gerade von einer Jagd. « … das einzige Mal, daß ich abgeworfen wurde, ich habe den Schock nie verwunden, was für ein Biest!»
«Und wo bist du gelandet?»
«Wo glaubst du wohl?»
Das Mädchen am Klavier hörte auf zu spielen und faltete das Notenblatt mit geziemender Konzentration zusammen.
«Ich gehe», sagte Rudi und sah auf die Uhr. «Ich habe eine Verabredung, ich muß einen Bekannten zu einem Drink treffen.» Er stand auf und durchblätterte noch einmal die maschinengeschriebenen Seiten, ehe er Jane das Manuskript zurückreichte. «Nicholas ist mein Freund», sagte er traurig, «aber ich muß leider sagen, daß er als Denker nichts beizutragen hat, wie gesagt. Hier, hören Sie:
Es steckt eine gewisse Wahrheit in der volkstümlichen Vorstellung, daß der Anarchist ein wilder Mann ist, der mit einer selbstgemachten Bombe in der Tasche herumläuft. In unserer Zeit kann diese Bombe, die in den verborgenen Werkstätten unserer Imagination hergestellt wird, in einer Form nur wirksam werden: sie kann lächerlich machen.»
Jane sagte: «‹In einer Form nur›, ist grammatisch nicht ganz korrekt, es sollte heißen ‹nur in einer Form›. Ich muß das korrigieren, Rudi.»
Soviel zu dem Porträt des Märtyrers als junger Mann, wie es Jane in den Tagen, da alle arm waren, an einem Sonntagmorgen zwischen zwei Waffenstillständen im Jahre 1945 nahegebracht wurde. Später würde sie dieses Bild auf mancherlei kunstvolle Weise entstellen, zur Zeit aber hatte sie nur das Gefühl, in der Person von Nicholas mit etwas Leichtsinnigem, Intellektuellem, Bohemienhaftem in Berührung zu sein. Rudis verächtliche Haltung fiel nach ihrer Auffassung auf ihn selbst zurück. Sie glaubte, zu viel über ihn zu wissen, um ihn achten zu können, und war in diesem Augenblick erstaunt darüber, daß tatsächlich noch eine Art Freundschaft zwischen ihm und Nicholas bestand, die aus der Vergangenheit herrührte.
Inzwischen übte Nicholas eine gewisse Wirkung auf die Phantasie der minderbemittelten Mädchen aus und sie auf seine. Er hatte noch nicht in den heißen Sommernächten mit Selina auf dem Dach geschlafen, zu dem er aus dem Dachgeschoß des von Amerikanern besetzten benachbarten Hotels gelangte und sie durch den Fensterspalt. Und er war auch noch nicht Zeuge jenes Vorgangs äußerster Barbarei geworden, der ihn gegen seinen Willen dazu veranlaßte, das ihm so ganz ungewohnte Zeichen des Kreuzes zu machen. Zu jener Zeit arbeitete Nicholas noch immer für eine der Abteilungen des Foreign Office, wo die linke Hand nicht wußte, was die rechte tat. Er arbeitete für die linke Hand. Sie gehörte zum Nachrichtendienst. Nach der Landung in der Normandie hatte man ihn mehrmals mit Aufträgen nach Frankreich geschickt. Jetzt blieb seiner Abteilung nicht viel anderes zu tun übrig, als abzuwickeln. Abwickeln war mühsam und hieß, daß man Papiere und Leute von einem Büro ins andere Büro abzuschieben hatte. Vor allem aber mußte vieles zwischen den Taschen des britischen und des amerikanischen Nachrichtendienstes in London hin- und hergeschoben werden. Nicholas hatte ein düsteres möbliertes Zimmer in Fulham. Er langweilte sich.
«Rudi, ich muß Ihnen etwas mitteilen», sagte Jane.
«Bleiben Sie bitte einen Augenblick am Apparat, ich habe einen Kunden.»
«Dann werde ich Sie später anrufen, ich bin in Eile. Ich wollte Ihnen nur sagen, daß Nicholas Farringdon tot ist. Erinnern Sie sich an sein Buch, das nie verlegt wurde? Er gab Ihnen damals das Manuskript. Also, es könnte jetzt vielleicht etwas wert sein und ich dachte –»
«Nick ist tot? Bitte bleiben Sie einen Augenblick am Apparat, Jane, ich habe hier einen Kunden, der ein Buch kaufen will. Bleiben Sie am Apparat!»
«Ich rufe Sie später wieder an.»
Nicholas kam also zum Essen in den Club.
Ich dacht’ an Chatterton, den wunderbaren
Knaben,
Schlaflose Seele, die am Stolz zerbrach
«Wer ist das?»
«Das ist Joanna Childe. Sie gibt Rezitationsunterricht. Sie müssen sie kennenlernen.»
Das aufgeregte Gezwitscher in den übrigen Ecken des Raumes, Joannas einzigartige Stimme, der köstliche Anblick dieser
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