Maedchen mit begrenzten Moeglichkeiten
anrühren. Hören Sie nur:
Jeder Kommunist hat ein faschistisches Stirnrunzeln, jeder Faschist hat ein kommunistisches Lächeln.
Hm», machte Rudi.
«Ich hielt das für ein sehr tiefsinniges Aperçu», sagte Jane, da es das einzige war, an das sie sich erinnern konnte.
«Eben darum schreibt er es ja auch, er rechnet sich aus, daß dieses verdammte Buch ein Publikum braucht, und so fügt er sehr schlau ein paar kleine Aphorismen an, die ein Mädchen wie Sie gern hört. Es bedeutet gar nichts, das da. Wo ist denn die Bedeutung?» Zuletzt hatte Rudi lauter gesprochen, als er beabsichtigte, denn das Mädchen am Klavier machte gerade eine kleine Pause.
«Kein Grund sich aufzuregen», sagte Jane laut.
Das Mädchen am Klavier begann mit einem neuen Lauf perlenden Geklimpers.
«Wir gehen in den Salon rüber», sagte Rudi.
«Nein, alle sind heute morgen da», sagte Jane, «es gibt keine ruhige Ecke im Salon.» Es lag ihr nicht besonders daran, Rudi dem ganzen übrigen Club vorzu führen.
Das Mädchen am Klavier spielte die Tonleitern hinauf und hinunter. Aus einem Fenster im oberen Stock konnte man Joanna hören, die gerade eine halbe Stunde, ehe der Sonntagsbraten in den Ofen mußte, eine Übungsstunde mit Miss Harper, der Köchin, eingeschoben hatte. «Hören Sie!»
Oh! Sonnenblume! müde der Stunden,
Die du zählst die Schritte der Sonne;
Suchend die Fluren süßgoldner Wonne,
Wo der Reisenden Fahrt ihr Ende gefunden.
«So, jetzt versuchen Sie es», sagte Joanna. «Die dritte Zeile ganz langsam. Denken Sie an eine süße goldene Flur, wenn Sie es sagen.»
Oh! Sonnenblume! …
Die Schlafsaal-Mädchen quollen aus dem Salon auf die Terrasse hinaus und schnatterten wie ein ganzer Geflügelhof. Die dünnen Töne der Tonleiter folgten einander gehorsam.
«Hören Sie!» sagte Rudi:
«Jedermann sollte es in Erinnerung gebracht werden, wie tief und mit welch ungeheurem Getöse die Welt aus dem Zustand der Gnade gefallen ist. So tief, daß sie Politiker zu ihren Hütern bestellen muß, daß alle Gefühle, die tröstlichsten zur Frühstückszeit, wie die angstvollen am Abend …
Haben Sie beachtet, daß er davon spricht, die Welt sei ‹aus dem Zustand der Gnade› gefallen?» fragte Rudi. «Das ist nebenbei der Grund, weshalb er kein Anarchist ist. Sie schmeißen ihn raus, wenn er wie ein Sohn des Papstes daherredet. Dieser Mann ist ein Wirrkopf, wenn er sich Anarchist nennt. Die Anarchisten machen gar nicht soviel Worte über die Erbsünde und so weiter. Sie lassen nur antisoziale Tendenzen zu, ein amoralisches Verhalten und so weiter. Nick Farringdon ist ein Aufweichler, wie gesagt.»
«Nennen Sie ihn Nick?» fragte Jane.
«In jenen Tagen hieß er in den Kneipen, im Wheatsheaf und im Gargoyle und so weiter, manchmal Nick. Nur ein Hausierer nannte ihn immer Mr. Farringdon. Nicholas sagte zu ihm: ‹Hör zu, ich bin doch nicht Mister getauft.› Aber es nutzte nichts. Der Hausierer war übrigens sein Freund.»
«Noch einmal», ertönte Joannas Stimme.
Oh! Sonnenblume! müde der Stunden …
«Hören Sie nur», sagte Rudi:
«Dennoch laßt uns unsere Stunde und Bereitschaft verkünden. Wir brauchen keine Regierung. Wir brauchen kein Unterhaus. Das Parlament sollte sich für immer auflösen. Wir könnten uns mit unseren großen, aber machtlosen Institutionen sehr gut zu einer vollkommen anarchistischen Gesellschaft entwickeln, wir könnten uns mit der Monarchie einrichten als einem Beispiel für die Würde, die im freien Geben und Empfangen von Rang und Gunst ohne jedes Machtstreben besteht. Die Kirchen könnten den geistigen Bedürfnissen der Menschen, das Oberhaus könnte Erörterungen und Empfehlungen dienen, die Universitäten sollten beratenden Charakter haben. Wir brauchen keine Institutionen, die Macht besitzen. Die praktischen Angelegenheiten der Gesellschaft könnten von Stadt–, Bezirks- und Gemeinderäten erledigt werden, die internationalen Angelegenheiten nebenberuflich von wechselnden Bevollmächtigten. Wir brauchen keine Berufspolitiker, die immer nach der Macht schielen. Der Kaufmann, der Arzt, der Koch sollten ihrem Land für eine Weile dienen, so wie man sich als Geschworener zur Verfügung stellt. Wir können allein durch den gemeinsamen Willen menschlicher Herzen regiert werden. Die Macht ist tot, und nicht, wie uns immer beigebracht wird, die ohnmächtigen Institutionen.
Ich stelle Ihnen eine Frage – eine einfache Frage», sagte Rudi. «Er will Monarchie und er
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