Mädchen Nr. 6: Thriller (German Edition)
Detective Cole. Sie haben sich schon genug in Rose McNamaras Leben eingemischt und können sie nicht mehr rächen. Sie werden auch die anderen nicht vor dem Tod bewahren. Sie sagen, es sei unvorstellbar und nur ein Monster könne eine solche Tat begehen?
Ich werd’s dir zeigen, Schlampe.
4
R osies Mutter hatte etwas Irisches an sich – blasse Haut, dunkles Haar und ein singender Tonfall. Sie war dünn und sehnig, eine Frau in den Vierzigern, die viel Zeit an der frischen Luft verbrachte. Hinter der Trauer blitzte ihr ungestümes Temperament auf.
»Sie war zurückgekommen und hatte geglaubt, es geschafft zu haben«, sagte Mary McNamara zornig. »Als hätte die ständige Sorge nicht schon ihren Vater ins Grab gebracht. Und jetzt –«
»Momma, hör auf!«, rief Rosies ältere Schwester Janet. Sie war so blond wie Rosie dunkelhaarig und so durchschnittlich im Aussehen, wie Rosie berückend schön gewesen war. Janet trug ein Kleinkind auf der Hüfte und schaukelte es. Bei einem von Danis Besuchen vor zwei Jahren hatte sie gesagt, Rosie sei für die Familie gestorben. Weil sie Schande über sie gebracht hätte. Heute wirkte sie bestürzt.
Dani wandte sich ihr zu. »Als Rosie mich vor ein paar Wochen anrief, sagte sie, ihr zwei hättet euch wieder vertragen.«
»Wir haben uns zumindest Mühe gegeben«, erwiderte Janet und umfasste den Hinterkopf des Kindes mit einer Hand. »Sie wollte Kontakt zu ihrem Neffen haben – zu Kyle.« Janet berührte die Wange des Babys, und eine Träne fiel auf das flaumige Haar des Kindes. »Sie konnte recht gut mit ihm umgehen.«
»Möge Gott ihr vergeben«, murmelte Mary McNamara und bekreuzigte sich.
Gott vielleicht, dachte Dani, aber sie war sich nicht sicher, ob Rosies Mutter dazu auch in der Lage wäre.
Dani ermahnte sich zur Vernunft, hatte aber den Eindruck, dass sie selbst stärker um Rosie trauerte als deren eigene Familie. Rosie hatte es geschafft, von der Straße und von Ty Craig wegzukommen. Sie war zurückgekehrt, um ihren Neffen kennenzulernen und sich mit ihrer Familie auszusöhnen. Ihre Begrüßung war offenbar zurückhaltend und kühl ausgefallen. So viel zum Thema bedingungslose Liebe und Unterstützung von der Familie.
Dani schob ihre Gefühle beiseite und stellte die üblichen Fragen: Mit wem hatte sich Rosie getroffen? Gab es einen Mann in ihrem Leben? Wie war ihre Stimmung bei dem letzten Treffen gewesen? Mary McNamara bestätigte, was Dani bereits wusste – es gab weder einen Mann noch Freier oder Drogen.
Janet ging mit Dani die Listen von Rosies Kollegen, Freunden und jenen Orten durch, an denen sie sich gern aufgehalten hatte. Doch der Name Russell Sanders war weder Janet noch Mary ein Begriff.
Dreißig Minuten später fing das Telefon an zu klingeln. Familienangehörige, Freunde, Nachbarn. Die Nachricht hatte sich herumgesprochen.
Dani sah, wie Mary und Janet die wohlgemeinten Beileidsbekundungen entgegennahmen, die aber alles nur schlimmer machten. Fragen folgten auf Fragen, und jede einzelne davon katapultierte Dani in ihre eigene Hölle zurück, die erst zwei Wochen zurücklag. Wann soll die Begräbnisfeier stattfinden, Ms. Cole? Feuer- oder Erdbestattung? Welche Musik hätte Ihr Vater gewollt? Wohin sollen wir die Kränze schicken?
Ich weiß es nicht, hatte sie gedacht, und ein eisernes Band schien ihre Brust zu umklammern. Er hätte noch nicht sterben dürfen …
Sie verabschiedete sich von Mary McNamara und Janet und dem Enkel. Durch einen Anruf auf der Wache erfuhr sie, dass Tifton schon in der Stiftung bei Brad Harper war. Zehn Minuten später fuhr sie, ohne dass ein grauer Sedan der Internen Abteilung die Verfolgung aufgenommen hätte, an einem riesigen Gebäude vorbei, das einem Schloss ähnelte. In einem Beet aus gelben Stiefmütterchen, umgeben von rötlichen Büschen, prangte ein Schild mit der Aufschrift: JMS FOUNDATION FOR PHOTOGRAPHY ART.
Dani fuhr langsamer, um es zu betrachten, und das nicht zum ersten Mal. Dies hier war Mitchs Werk, seine Art, gegen das Unheil auf dieser Welt anzukämpfen und überall Gutes zu tun, da er zu Hause versagt hatte. Mit seinem verwegenen Aussehen und seiner Heimatverbundenheit war er für viele Leute ein Held, der Missstände enthüllte und Tragödien der Menschheit offenbarte.
Und er war einen Sommer lang ihr zauberhafter Liebhaber gewesen.
Vergiss es, befahl Dani sich. Er hatte das bestimmt schon längst getan.
Sie fuhr weiter bis zum Ende der Straße. In dem Block standen noch weitere
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