Mädchen Nr. 6: Thriller (German Edition)
noch nicht herausgefunden, wie man ein Gewissen erzeugt.
Es gab also durchaus gute Gründe, weshalb er sich nicht erwischen lassen durfte. Wenn Ron Fulton das nächste Mal hinter Gittern verschwand, würde er nie wieder rauskommen.
Vielleicht war es an der Zeit, ihn daran zu erinnern. »Ich kann dich fertigmachen.«
»Dafür bist du nicht selbstzerstörerisch genug«, antwortete Fulton arrogant. »Du wusstest, dass dieses Mädchen eine Familie hat. Und dass dieses Mal die Polizei eingeschaltet werden würde.«
»Ich dachte, man würde sie als vermisst melden, stattdessen findet man sie tot an einem Tatort, den die Kriminaltechnik auseinandernehmen wird.«
»Was könnten die finden?«
Was würden sie finden? Nichts. Einen oder zwei Fußabdrücke, die sie lediglich einem Mann mit Schuhgröße fünfundvierzig zuordnen würden, der vermutlich Stiefel getragen hatte. Rosies Haar und Blut. Keine Kamera. Keine Verbindung.
»Nichts. Sie werden nichts finden.«
»Dann entspann dich«, riet Fulton. »Vermutlich werden sie feststellen, dass das Mädchen mit Sanders geredet hat, aber wir wissen beide, dass sie damit an einem toten Punkt angelangt sind. Im wahrsten Sinn des Wortes.«
»Ich will nicht, dass es so kommt wie bei Jill Donnelly.«
Jills Augen schienen von der Staffelei in der Ecke des Dachbodens zu glühen. Eine hochgewachsene, sehnige Rothaarige, die nach Jahren der Entfremdung von ihrer Familie beschlossen hatte, sie ausgerechnet am Tag ihres Todes anzurufen. Ihre Angehörigen waren zur Polizei gegangen, aber ohne Leiche und erkennbare Anzeichen eines Gewaltverbrechens war nichts dabei herausgekommen. Nutten kamen und gingen, und Jill Donnelly, so hatte die Polizei geschlussfolgert, war eben wieder verschwunden.
Es war trotzdem knapp gewesen. Allein die Tatsache, dass Jills Verschwinden bemerkt worden war, hatte sie beide aufgerüttelt.
»Sie werden Donnelly schon nicht finden«, behauptete Fulton. »Oder die anderen. Und das haben wir nur mir zu verdanken.«
Schon gut. Einatmen. Fulton war ein notwendiges Übel, gegen das man zurzeit noch nichts unternehmen konnte. Noch ein Grund mehr, das Tempo anzuziehen und die letzten beiden Namen auf der Liste abzuhaken, bevor der Fund von McNamaras Leiche noch mehr Staub aufwirbelte. »Ich brauche dich heute Nacht.«
Fulton gackerte leise. »Ich fühle mich geehrt.«
»Fick dich. Dieses Mal wirst du’s nicht versauen. Bring den Leichnam nach Virginia. In die alten Minen.«
»Ich weiß, wo die Minen sind. Wo finde ich die Leiche?«
»In der Nähe des alten Eisenbahndepots, nördlich von Reading. Weißt du, wo das ist?«
»Kenne ich. Eine viel bessere Wahl als dieser beschissene Park, wo ein Jahrmarkt stattfindet.«
Sie legten auf. Der Nachrichtenmoderator leitete gerade mit heiterer Stimme zur »weiteren Berichterstattung« über.
Und dann folgte Schwachsinn über Schwachsinn. Aufgebauscht von den Medienleuten. Die Kamera folgte einem Leichensack auf einer Bahre, dann wurden Gaffer und die Organisatoren des Jahrmarkts interviewt, gefolgt von ein paar Polizisten, aber es war offensichtlich, dass es weder eine Spur noch einen Verdacht gab.
Also, entspann dich. Fulton hatte recht, es gab nichts, worüber sie sich Sorgen machen müssten.
Das Gesicht einer Ermittlerin erschien auf dem Bildschirm. Darunter wurde ihr Name eingeblendet. SGT. DANI COLE, LANCASTER COUNTY POLICE DEPARTMENT. Etwas an ihr wirkte vertraut. Cole. Wer war sie? Nun sprach sie mit einem Reporter.
»… kaum vorstellbar. Nur ein Monster kann eine solche Tat verüben … wir tun unser Bestes …«
Jetzt kam die Erinnerung. Cole. Der Name stand in Rose McNamaras Akte. Die Schlampe hatte sich vor zwei Jahren an Rose McNamara herangeschleimt. Sie festgenommen, aber dann wieder laufenlassen und sie von der Straße geholt.
»… müssen die jungen Frauen schützen, die wie das Opfer unschuldig sind …«
Unschuldig. Heiß glühender Zorn überfiel ihn. Rose McNamara – unschuldig?
Allein bei dem Wort breitete sich die Wut wie ein Krebsgeschwür aus.
Sergeant Dani Scheiß-Cole wagte es, Rose McNamara zu verteidigen – jetzt schon zum zweiten Mal, und zu behaupten, nur ein Monster könne dies einer unschuldigen Frau antun …
Nun wurde der nächste Beitrag gesendet, aber Dani Coles Gesicht blieb dem Killer wie eine Zecke im Gedächtnis haften. Dumm, arrogant und fehlgeleitet.
Hatte sie gerade dem Täter Strafe angedroht, um die unschuldige junge Frau zu rächen?
Wohl kaum,
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