Mädchen Nr. 6: Thriller (German Edition)
Gänsescheiße zu wat–«
Hinter ihnen kam Bewegung auf, als sich die Schar Gänse aufgeschreckt wie riesige Fledermäuse in die Luft erhob. Ihr ohrenbetäubendes Geschnatter und das Schlagen von fünfzig Flügelpaaren zerriss die Stille der Nacht. Dani duckte sich und sah Neils Gestalt auf sich zurennen. Sie wollte sich auf Mia stürzen, geriet jedoch ins Straucheln und konnte nicht verhindern, dass Mia auf Neil zielte. Fump. Er taumelte und fiel zu Boden.
O nein, nein, nein! Sie hatte wegen des Lärms der Vögel das Geräusch der Derringer nicht gehört, und jetzt lag Neil da, und Mias Arm schnellte zurück. Sie zielte mit der Waffe auf Danis Gesicht, musste jedoch auch Neil im Auge behalten. Der Geruch des abgefeuerten Schusses hing in der Luft.
Und da lag das Säurefläschchen im Gras.
Dani schnappte es sich, stolperte und fiel über die Hutschachtel auf den Rasen. Unbemerkt öffnete sie den Verschluss. Die Gänse waren verschwunden, und es herrschte tödliche Stille. Sie wagte kaum zu atmen. Ihre Finger umklammerten das Fläschchen.
»Steh auf!«, schnarrte Mia, an Neil gewandt, mit der Waffe jedoch auf Dani zielend. »Auf die Knie, oder die nächste Kugel durchschlägt ihren Schädel.«
Etwas bewegte sich hinter Mia. Ein Schatten erhob sich am Ufer, wo kurz zuvor die Gänse gehockt hatten.
Es war Mitch, mit einer Riesenknarre in der Hand. »Waffe fallen lassen, Mia«, befahl er.
Mia hörte die Stimme hinter sich und blickte voller Entsetzen wieder zu Neil. Dann begriff sie, dass sie hereingelegt worden war, und begann, am ganzen Körper zu zittern.
»Ich bring sie um«, stieß sie hervor, war aber gezwungen, einen Schritt zurückzutreten, um Neil und Mitch gleichzeitig im Auge zu behalten. Sie stand immer noch dicht vor Dani und zielte mit der Derringer auf ihren Kopf.
Dani klappte fast unmerklich den Deckel der Hutschachtel auf. »Bleibt zurück«, befahl Mia. »Beide, oder ich bringe sie um.«
Mitchs Stimme war hart wie Stahl. »Ich habe gesagt, du sollst die verdammte Waffe fallen lassen. Es ist vorbei.«
Niemand bewegte sich. Neil kniete mit erhobenen Armen vor Mia. Sobald er sich rührte, würde Mia Dani erschießen. Mitch hielt die riesige Waffe in seinen Händen auf Mia gerichtet, war aber noch zu weit entfernt. Mias Hand zitterte am Abzug der Derringer.
Dani hielt das Fläschchen umklammert und hob es in Zeitlupe hoch, bis es ein gutes Stück über der Perücke schwebte. Leise rief sie: »Mia, sieh mal her.«
55
M ia hatte innerhalb von wenigen Sekunden begriffen, was Dani in der Hand hielt.
»Nein«, keuchte sie. »Nein!«
Dani begann, das Fläschchen zu kippen. Zwanzig Grad, dreißig. Sie wusste nicht, wie hoch der Füllstand war und wann genau die Flüssigkeit auf das Haar tropfen würde. Mias Finger schlossen sich enger um den Griff der Derringer.
»Wenn du auf mich schießt«, warnte Dani, »verschütte ich die Säure. Lass die Waffe fallen.«
Die Luft war voller Spannung – Mitch und Neil wagten nicht, sich zu rühren. Dani hingegen durfte nicht eine Sekunde innehalten. Sie brachte das Fläschchen weiter in Kipplage. Mia starrte voller Entsetzen auf Dani, und in diesem Augenblick floss ein dünner Strahl Säure über den Flaschenrand.
Das Haar zischte. Mia wollte sich kreischend auf das Fläschchen stürzen, doch in der nächsten Sekunde hatte Mitch sie gepackt und in Neils Richtung geschubst, während er die Derringer, die Mia aus der Hand gefallen war, mit einem Tritt zur Seite beförderte. Neil drehte Mia die Arme auf den Rücken, ohne dass ihm die Wunde an seiner Schulter etwas auszumachen schien.
Mitch rannte auf Dani zu.
»Fass mich nicht an«, warnte sie panisch und hielt das Fläschchen wieder gerade, wobei sie sorgfältig darauf achtete, nicht mit der Flüssigkeit in Berührung zu kommen.
»Hier«, sagte Mitch und hielt ihr die Hutschachtel entgegen. Von der Perücke war kaum noch etwas zu erkennen.
Dani ließ das Fläschchen in die Schachtel fallen, und Mitch stellte sie vorsichtig ab. Dann riss er Dani in seine Arme und hielt sie so fest umklammert, dass ihr der Atem wegblieb. Er küsste wie von Sinnen ihr Gesicht.
»Es geht mir gut«, unterbrach Dani ihn schließlich. Sie nahm sein Gesicht in beide Hände und wiederholte ihre Worte. »Es geht mir gut, Mitch. Du darfst mich jetzt loslassen.«
Er presste sie noch heftiger an sich. »Niemals wieder.«
Die Einsatzkräfte der Polizei strömten ins Haus der Ketterings. Hinter den Fenstern gingen nacheinander
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