Mädchen Nr. 6: Thriller (German Edition)
Finger streiften dabei über ihre Haut. Die Berührung durchfuhr Dani wie ein elektrischer Schlag. Wie damals, als er sie auf einer nächtlichen Straße zum ersten Mal berührt und ihr über die eingedellte Vorderstoßstange seines Barracudas hinweg seine Telefonnummer gegeben hatte.
»Danke«, sagte Dani. »Für die Fotos …, ich meine, dafür, dass du sie nicht …, ich meine …«
»Ich weiß, was du meinst.«
»Okay.« Nun gut. Es war Zeit, zu gehen. »Bis morgen früh«, sagte sie und drehte sich auf dem Absatz um.
»Du hast dich nicht verändert«, stellte Mitch fest, woraufhin Dani in der Bewegung innehielt und ihn anblickte.
»Was soll das heißen?«
»Du glaubst noch immer, dass du ständig enttäuscht wirst. Denkst von allen nur das Schlechteste. Aber du irrst dich, was Russell angeht. Er hätte niemandem etwas antun können.«
»Das hast du schon mal gesagt.«
»Und du irrst dich auch bei mir.« Sein Blick bohrte sich in den ihren. »Du kannst mir vertrauen, Dani. Und das war schon vor knapp zwanzig Jahren so.«
Es kam ihr vor, als hätte er sie sämtlicher Schutzmauern beraubt und ihre Seele bloßgelegt. »Ich bin nicht hergekommen, um alles von vorn durchzuhecheln.«
»Warum bist du dann hier?« Er trat einen Schritt heran, und allein seine Nähe bewirkte, dass sich ihr Magen zusammenzog.
Lieber Himmel, achtzehn Jahre waren vergangen, und doch vermochte sie sich jetzt keinen Deut besser zusammenzureißen als bei ihrem Kennenlernen damals … Sie war siebzehn Jahre alt gewesen. Eine Minderjährige, die mitten in der Nacht ohne Führerschein unterwegs war. Er hatte ihr ausweichen müssen, und sein Wagen hatte eine große Delle an der vorderen Stoßstange abbekommen. Er hätte in jener Nacht nur einen Anruf tätigen müssen, und sie wäre dran gewesen. Stattdessen hatte er auf Anhieb begriffen, dass sie in Schwierigkeiten steckte. Er hatte mit ihr geplaudert und geflirtet und sie eine Woche später ins Kino eingeladen. Die Delle hatte er selbst repariert und niemandem verraten, dass sie auf Danis Konto ging.
Dani war völlig hingerissen gewesen. Noch nie hatte jemand ihr Wohlergehen an erste Stelle gesetzt, hatte sie mit so viel Zärtlichkeit berührt und ihr das Gefühl gegeben, schön zu sein. Es hatte mächtig zwischen ihnen gefunkt, und die nächsten zwei Monate hatten sie sich ganz und gar ihrer stürmischen ersten Liebe hingegeben.
Bis zu dem Zeitpunkt, als er spätabends bei ihr zu Hause auftauchte und herausfand, wer sie wirklich war.
Sie trat von einem Bein aufs andere. Mitch wartete noch immer auf eine Antwort. »Ich wollte dir nur die Speicherkarte zurückgeben«, sagte sie. »Das ist alles.«
»Lügnerin«, entgegnete er kühl. »Auch solch ein immer wiederkehrendes Thema.«
Ihre Wangen prickelten vor Scham, die sich rasch in Ärger verwandelte. »Das wär’s dann. Ich geh …«
»Warte.« Mitch ließ seine Hand an ihrem Arm herabgleiten und griff nach ihren Fingern.
»Du hältst mich schon wieder fest«, sagte sie, aber eigentlich hätte sie lieber geschwiegen. Seine Finger waren warm, kräftig und sanft zugleich, und, Himmel noch mal, sie wollte nicht, dass er sie losließ.
»Du hast mir noch nicht gesagt, wie deine Entscheidung ausgefallen ist.«
»Worüber?«
»Über mich.« Er hielt die Speicherkarte hoch. »Mistkerl oder toller Typ?«
Sie sah ihn an, wie er da vor ihr stand, erschöpft von der Reise und dennoch gutaussehend, trotz der schiefen Nase.
Sie zwang sich, diese Gedanken zu verdrängen, bevor sie sie noch völlig kirre machten. All die Jahre war sie ohne ihn zurechtgekommen, es bestand kein Anlass, jetzt plötzlich weiche Knie zu bekommen.
Dani trat einen Schritt zurück auf die Straße. »Die Jury tagt noch«, sagte sie. »Ich lass dich wissen, wie die Entscheidung ausfällt, wenn es so weit ist.«
12
A ls der Junge den Hund am Abend rausgelassen hatte, war es in Coles Straße bereits ziemlich dunkel gewesen. Jetzt war es fast Mitternacht, und die Finsternis wurde nur noch hier und da durchbrochen. In einem Haus einen Block von Coles Holzhaus entfernt flackerte blau-graues Licht hinter einem der Fenster. Vermutlich lag der Besitzer bereits im Bett und sah sich die Late-Night-Show von Letterman an. Hinter einem anderen Fenster glomm der schwache Schein einer Kerze oder eines Nachtlichts durch die dünnen Gardinen, und aus dem Kamin stieg Rauch auf. Davon abgesehen waren die meisten Nachbarn wohl schon schlafen gegangen. Und Sergeant Cole? In ihrem
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