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Mädchen Nr. 6: Thriller (German Edition)

Mädchen Nr. 6: Thriller (German Edition)

Titel: Mädchen Nr. 6: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Brady
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duschte und zog sich um. Er bewegte sich mit schweren Schritten, damit Brad ihn auch bestimmt hörte, und verließ das Apartment dann wieder über eine Hintertreppe. Seit sechs Monaten mied er die Fotos aus Ar Rutbah, war nicht fähig, die Gesichter jener Menschen zu betrachten, die es nicht mehr gab. Aber jetzt konnte er sie nicht mehr ignorieren. Er musste wissen, was Russell gemeint hatte.
    Was auch geschehen mag, versprich mir, dass du die Ausstellung machst … Das brauchst du doch wie die Luft zum Atmen.
    Das war typisch für Russell. Typisch, zu glauben, dass Mitch, indem er Spenden für jene sammelte, die den Angriff überlebt hatten, seine Schuldgefühle wegen des kleinen Jungen in den Griff bekommen konnte, dessen Hand er losgelassen hatte. Die gleiche Hoffnung hatte Russ gehegt, als Mitch sechzehn Jahre alt gewesen war und sich seine kleine Schwester von seiner Hand losgerissen hatte und auf die Straße gelaufen war. Ihr Vater war hinter ihr hergerannt. Hatte das heranfahrende Auto völlig übersehen. Und war in Mitchs Armen verblutet. Mitch hatte die letzten zwanzig Jahre damit verbracht, das Unheil wiedergutmachen zu wollen. Ohne Russ wären seine Bemühungen bedeutungslos geblieben.
    Er stieg die Treppe in den Keller hinunter. Die Keller des viktorianischen Wohnhauses und des Hauptgebäudes der Stiftung waren durch einen Tunnel miteinander verbunden, der in den 1890er Jahren beim Bau des Wohnhauses entstanden war. Mehrere Personen hatten Zugang zu dem Keller des Wohnhauses und auch zum Tunnel, aber nur wenige waren im Besitz einer Keykarte, mit der sich die Tür zum Keller des Hauptgebäudes öffnen ließ.
    Mitch besaß eine solche Keykarte. Er hatte den Tunnel durchschritten, betrat nun den Keller des schlossartigen Hauptgebäudes und schaltete das Licht an. Hier roch es weder muffig, noch war es staubig, vielmehr war der Keller genauso gepflegt und mit einer Klimaanlage ausgestattet wie die Ausstellungsräume in den oberen Stockwerken. Mitchs Fotokunst der letzten fünfzehn Jahre wurde hier unten aufbewahrt sowie die Materialien für die Mattierung, Rahmung und Aufhängung der Fotografien und auch alte Akten, die jede Firma irgendwo archivieren musste.
    Mitch stieg die Treppe zur großen Empfangshalle hinauf, die mit marmornen Fußböden, goldgerahmten Gemälden und Polstermöbeln ausgestattet war. Die Empfangshalle repräsentierte am besten den Museumscharakter der Stiftung, während dahinter – in einem Labyrinth aus Korridoren und kleinen Büros – ein Heer von Angestellten für einen geringen Lohn aus den Fotos echte Kunstwerke machte. Die Ausstellung würde im ersten Stock eröffnet werden, wo früher Bälle und Bankette stattfanden. Neben den großen Sälen wollte man auch einige kleinere Salons für spezielle Fotogruppierungen nutzen.
    Die nächste Treppe zu erklimmen kostete Mitch Mühe, schwerfällig stieg er hinauf. Er tippte den Zugangscode für die Ausstellungsräume ein, öffnete die Tür und betätigte den erstbesten Lichtschalter. Den sorgfältig plazierten Scheinwerfern an Böden und Decken schenkte er wenig Beachtung. Um das Ausleuchten von Schatten und Winkeln würde er sich später kümmern, jetzt kam es ihm vor allem auf die Fotografien selbst an.
    Und da waren sie. Starrten ihn von den Wänden und Staffeleien an. Er spürte einen Kloß im Hals. Verdammt, Russell, darauf hätte ich gut verzichten können.
    Doch eigentlich stimmte das nicht.
    Er bewegte sich langsam durch den Raum und hielt den Atem an, als er die erste Aufnahme genauer ansah: Eine Frau in einem bodenlangen Gewand beugte sich über das entstellte Gesicht eines Mädchens, das nicht älter als zwölf oder dreizehn Jahre war. Von Aufständischen vergewaltigt und anschließend dem Tod überlassen.
    Mitch kam die Galle hoch, doch er schluckte und ging weiter.
    Ein Massengrab – er erinnerte sich an den Gestank von verfaultem Fleisch in der Luft.
    Weitergehen.
    Der alte Mann mit dem Armstumpen, den Raketenwerfer gegen die gesunde Schulter gestützt. Die Augenwinkel gekräuselt, weil er den Horizont mit Blicken absuchte. Firoke  …
    Dann: ein Foto des Jungen. Zwölf oder dreizehn Jahre alt. Der Junge lächelte in die Kamera, neben sich einen weiß-gefleckten Mischling, den er »Kûçik« genannt hatte, was »Hund« auf Kurdisch bedeutete. Offenbar war der Junge nicht sehr kreativ in der Namensgebung gewesen.
    Mitch spürte, wie sich sein Herz zusammenzog. Großer Gott, er hatte diese Fotos niemals ansehen wollen.

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