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Mädchen und der Leibarzt

Mädchen und der Leibarzt

Titel: Mädchen und der Leibarzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Beerwald
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Bibliothek ins Schloss fiel, verspürte Aurelia einen tiefen Schmerz, der wie eine Stichflamme durch ihren Körper schoss. Sie starrte auf die eiserne Klinke, auf das
dunkle Holz und folgte Helena in Gedanken durch die Bibliothek. Sie vernahm ein gedämpftes Lachen. Jetzt gab Helena ihm sicher einen Kuss. Dicht an die Tür gedrängt hörte Aurelia die Stimmen der beiden. Wie jeden Abend, wenn sie hier stand und der Schmerz sie beinahe zerriss, aber sie musste wissen, was dort drinnen vor sich ging. Gestern Abend war Helena zur fünften Stunde wieder im Zimmer gewesen, den Tag zuvor um acht und davor um sechs. Wie immer unterhielten sie sich, es war nicht mehr als ein Murmeln, und meist dauerte es nicht lange, bis es still wurde. Quälend still.
    Aurelias Magen verkrampfte sich, aber sie konnte sich nicht abwenden. Gregor lachte kurz auf, dann war es wieder still. Jetzt küsste Helena ihn wieder …
    Schmerzlich stand Aurelia der Moment vor Augen, als sie Gregor zum letzten Mal umarmt hatte. Aurelia dachte an seine letzten zärtlichen Gesten und legte ihre schweißnasse Hand auf die Türklinke. Es war schließlich jedem erlaubt, die Bibliothek zu betreten! Sie drückte die Klinke nieder, aber die Tür war verschlossen. Helena hatte also Vorsorge getroffen.
    Gedemütigt hob Aurelia die Faust gegen die Tür, doch dann wandte sie sich ab und holte ihr Taschentuch hervor. Noch nie war ihr aufgefallen, dass die roten Ornamente auf dem Stoff aussahen wie kleine Tränen. Tausend Tränen, an denen einzig Helena Schuld trug. Es war, als läge ihr eine feste Schnur um ihren Hals, und sie wurde das Bild nicht los, wie sich die beiden liebten. Der aufwallende Hass erstickte ihren Tränenfluss, sie zwang sich, ihre Gedanken zu ordnen; langsam formten sich diese zu einem Racheplan, der keinen Aufschub mehr duldete. Sie holte ihren Umhang
aus dem Zimmer und verließ mit der Öllampe in der Hand das Stiftsgebäude.
    Ungeduldig pochte Aurelia an die Tür des Stiftskanzlers; sie musste unbedingt mit ihm reden. Endlich öffnete er, ein leichtes Erstaunen in seinem Gesicht.
    »Guten Abend, werte Gräfin von Hohenstein. Was führt Sie zu solch später Stunde zu mir? Kommen Sie doch bitte herein.« Sebastian trat mit einer leichten Verbeugung zur Seite. »Was kann ich für Sie tun?«
    »Ich wollte mich nach Ihrem werten Befinden erkundigen und mit Ihnen sprechen.«
    Sebastian ging in seine Stube voraus, ein kleiner Raum, in dem trotz des spärlichen Mobiliars kaum zwei Personen Platz fanden. Eilends räumte er ein paar aufgeschlagene Bücher auf dem Stubentisch beiseite. »Setzen Sie sich doch. Die Wunde ist noch nicht besser. Im Gegenteil! Aber Ihrer Sorge bin ich doch nicht wert. Sie haben nun in den letzten Wochen fünf Mal nach mir gesehen. Es ist wahrhaftig schon genug, wie sich Helena um mich kümmert.«
    Aurelia verzog das Gesicht, und Sebastian sah sie fragend an. »Oh, es ist nichts. Ich meine nur … Ist Ihnen nicht auch schon zu Ohren gekommen, dass Helena mit den Behandlungen überfordert ist?«
    »So eine Verletzung dauert eben ihre Zeit. Aber deshalb müssen Sie sich doch nicht um mich sorgen. Ich bin derjenige, den die Schuld trifft. Schließlich wurden Sie meinetwegen nicht ins Stift aufgenommen, weil ich im entscheidenden Moment gestolpert bin.«
    Aurelia schluckte und versuchte sich an einem Lächeln. »Sie brauchen kein schlechtes Gewissen zu haben. Ich besuche Sie gerne.«

    »Bitte, Gräfin von Hohenstein, es ist nicht nötig, wirklich nicht. Oder ist etwas nicht in Ordnung? Sie dürfen doch noch immer als persönlicher Gast des Leibarztes im Stift bleiben, oder etwa nicht?«
    »Doch, doch.«
    »Wenn Sie etwas bedrückt …?«
    »Entschuldigen Sie meine Nachdenklichkeit. Aber ich möchte Sie auf etwas aufmerksam machen. Als Stiftskanzler sind Sie doch für die Ordnung in unserem Hause zuständig, nicht wahr?«
    »Nun, ich tue alles, was in meiner bescheidenen Macht steht.«
    »So dürfte es Ihnen nicht behagen, dass unser Stift einen Deserteur beherbergt.«
    »Was sagen Sie da?«
    »Es kommt sogar noch schlimmer!«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Diese Helena kümmert sich um den Flüchtling. Und sie hat sogar ein Verhältnis mit ihm! Stellen Sie sich das nur vor: Sodom und Gomorrha in unserem Haus, Herr Stiftskanzler! «

    Helena wollte sich gerade schlafen legen, als ihr der Stiftskanzler in den Sinn kam. Sie hatten den Abend über Schach gespielt, und dabei hatte sie ihn völlig vergessen. Langsam beschlich sie der

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