Mädchen und der Leibarzt
leuchtete ihr der Äskulap direkt ins Gesicht. »Da ist ja das Weib, wie immer nicht zu überhören. Komm, mein kleines fauchendes Wildkätzchen. «
Friedemar trat ihm entgegen und zog sie gewaltsam an sich. »Finger weg von Helena! Das geht nur mich und sie etwas an!«
Helena machte sich steif. »Lass mich los! Hast du nicht gehört? Lass mich sofort los! Ich werde nicht mit dir gehen. Niemals!«
»So?«, hauchte Friedemar ihr ins Ohr. »Bist du dir da ganz sicher?« Noch bevor sie antworten konnte, spürte sie die kalte Klinge eines Messers an ihrem Hals. »Dieses Spiel hier kennt nur meine Regeln, haben alle das verstanden? Und du wirst jetzt schön gemeinsam mit mir losziehen. Weit, weit fort, dem Reichtum entgegen.«
Sie sah nur noch eine Chance; sie musste Zeit gewinnen. Lukas lag noch immer halb bewusstlos am Boden. »In Ordnung«, sagte sie und bewegte dabei kaum ihre Lippen. »Lass uns reden. Aber nimm erst das Messer weg.«
»Oh, Verzeihung. Hast du dich bedroht gefühlt?« Friedemar ließ von ihr ab und verschränkte die Arme hinter dem Rücken.
»Ich will dir einen Vorschlag machen, Friedemar.«
»Ich höre?«
Helena suchte im Halbdunkel seine Augen. Der Äskulap lauerte im Hintergrund, und die Angst drohte ihr die Stimme zu rauben. Sie legte sich die Worte sorgfältig zurecht, bevor sie aussprach, was sie dachte: »Ich weiß, dass du es in deinem Leben unbedingt zu etwas bringen willst, und du suchst dein Glück im Reichtum.«
Friedemar hob die Augenbrauen. »Willst du behaupten, dass das ein Fehler ist?«
Hinter seiner Gestalt sah Helena, wie sich der Lichtschein einer schwankenden Öllampe näherte. »Nein. Es ist dein Weg«, sagte Helena schnell. »Es ist nur ein Irrtum zu glauben, dass du Reichtum durch mich erreichst.«
»Ich habe ein Messer, vergiss das nicht.« Er hob es nahe an ihr Gesicht.
»Was geht hier vor sich?«, hörten sie da die schneidende Stimme der Fürstäbtissin. »Werter Herr, lassen Sie sofort dieses Messer fallen! Wie können Sie es wagen, eine Waffe gegen eine wehrlose Frau zu erheben?«
Vor Überraschung ließ Friedemar tatsächlich von Helena ab. Sie atmete tief durch, zutiefst erleichtert über das Erscheinen der Fürstäbtissin. Doch bevor die ehemalige Herrin des Damenstifts noch weiterreden konnte, sagte Helena: »Du hast mich nicht verstanden, Friedemar. Du wirst deinen Reichtum bekommen, darfst das Mittel unter deinem Namen verbreiten. Ich werde dir keine Schwierigkeiten bereiten, aber du wirst ohne mich an die Fürstenhöfe ziehen.« Dann machte sie einen Schritt auf den Leibarzt zu, maß ihn von Kopf bis Fuß und schaute ihm in die Augen. »Und Sie, werter Herr Äskulap, dürfen ihm dabei helfen.«
»Meine Herren, Sie haben es gehört«, sagte die Fürstäbtissin. »Wenn ich nun bitten dürfte, die Totenruhe zu wahren und die selige Gräfin ins Stift zu tragen. Äskulap, kümmern Sie sich bitte auch um den werten Chirurgen. Und mit Helena habe ich noch ein Wort zu reden.«
KAPITEL 20
I n der Kirche brannten unzählige Kerzen, entlang der Säulen und vor dem Altar, der jetzt ein Thron war. Der Schein spiegelte sich in den bunten Fensterscheiben wider und tauchte die Gemälde an den Wänden in ein Wechselspiel aus Licht und Schatten. Nach der Unterredung mit der Fürstäbtissin wäre Helena gerne mit ihrer Trauer allein gewesen, allein inmitten des hell erleuchteten Raumes. Sie fühlte sich fremd in dieser Kirche, die keine mehr war. Jetzt war es ein königlicher Audienzsaal, in dem nur noch ein paar sakrale Elemente das Auge störten.
Um sie herum herrschte drangvolle Enge. Lachende Menschen schoben sich auf die Gänge, feierten ausgelassen und tanzten sogar zwischen den Bänken. Konnte man es den Leuten verdenken, dass sie trotz der Blatterngefahr so fröhlich waren? Wann hatten sie in den letzten Jahren solch ein Fest gehabt? Wann zuletzt gelacht?
Eine Handvoll Musiker, aus den Reihen des Huldigungskommissärs, stellte sich mit Geigen und Trompeten neben dem Thron auf und setzte mit Hingabe zu einem schwungvollen Walzer an. Auf einer langen Tischreihe standen bereits einige dampfende Schüsseln und Silberplatten voll köstlicher Beilagen.
Helena überflog noch einmal die Menge, schaute sich in alle Richtungen nach Friedemar um. Doch unter den vielen
Leuten war er nicht auszumachen. Die Essensträger hatten ihre liebe Mühe, die Gerichte durch das tanzende Volk zu befördern. Wie bei solch großen Festen üblich, wurde das Essen in Holztruhen aus
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