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Mädchen und der Leibarzt

Mädchen und der Leibarzt

Titel: Mädchen und der Leibarzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Beerwald
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sie alle Bücher gelesen hatte! Aber das würde Jahre dauern.
    »Nun? Gefällt es Ihnen hier?«
    »Sebastian …«, stieß Helena hervor.
    Erschrocken drehte sich der Stiftskanzler um. »Um Gottes willen, was ist denn?«
    »Ich bin so durcheinander. Soll ich wirklich hier schlafen? «
    »Gewiss. Behagt es Ihnen nicht?«
    »Das Zimmer ist ein Traum!«
    Seine Sorgenfalten wichen einem zufriedenen Lächeln. »Die Bücher werden sich erfreuen, von jemand anderem als mir gelesen zu werden. Die Fürstäbtissin begnügt sich mit dem Lesen des Teutschen Merkur und was für mich ein Bücherschrank ist, ist den Damen ihr Wäscheschrank.« Er seufzte. »Sehen Sie sich nur die Deckenmalerei an.«
    In Erwartung roséfarbiger Engelsfiguren auf weißen Wolken legte Helena ihren Kopf in den Nacken. Stattdessen sah sie eine blaue Fläche mit goldenen Tupfen. Sie zog die Stirn in Falten.
    »Kennen Sie die Sternbilder?«, half Sebastian nach. »Der Maler hat keines vergessen.«
    Helena drehte sich so lange, bis ihr schwindlig wurde, und die hellen Punkte auf dem blauen Grund verschwammen. Sie blinzelte. »Nein, ich kenne die Welt weder von oben noch von unten.«

    »Dann wird es aber höchste Zeit! Dort vorne auf dem Studiertisch steht eine Weltkugel. Sie können nach Herzenslust auf der Erde umherwandern und dazu die eine oder andere Reisebeschreibung lesen.«
    »Ja, aber … Wo finde ich …«
    »Keine Sorge, Sie finden sich schon zurecht. Der Maler hat über jedes Regal das entsprechende Zeichen an die Wand gesetzt. Sehen Sie? Bei den Reisebeschreibungen eine Kutsche , Jesus am Kreuz für die Religion, die Schlange für die Medizin und Justitia mit der Waage für die Jurisprudenz. Falls einige Bücher aus dem letzten Regal fehlen sollten … die finden Sie bei mir. Meine Wohnung liegt übrigens beim Stiftsgarten.«
    »Sebastian, was haben Sie da gesagt? Ich darf wirklich alle diese Bücher lesen? Diese vielen herrlichen Bücher?«
    »Gewiss. Wohlan, Ihr Bett steht vorne beim Erker, gleich neben dem Studiertisch. Man kann es nur durch die Bücherregale gar nicht sehen.«
    »Dann kann ich sogar im Bett lesen, wenn ich mir die Kerze auf den Schreibtisch stelle. Nächtelang. Und es wird mich niemand stören!« Helena kicherte vor Freude. »Ein Zimmer voller Bücher. Mein Sternenzimmer!«
    Sebastian nickte zustimmend.
    Wenn es nur schon Abend wäre … Helena ging an den Regalen entlang. Ehrfürchtig betrachtete sie die kostbaren Folianten und sog den trockenen Ledergeruch ein. Um die Marmorbüsten machte sie einen respektvollen kleinen Bogen. Ihr Blick glitt an den Wandbemalungen entlang. Die kräftigen Farben ließen die Motive fast lebendig werden: Dunkle Rösser mit fliegenden Mähnen zogen eine goldene Kutsche vorbei an einem märchenhaften Schloss, dahinter
die fernen Berge und der weite, blaue Himmel. Wie gerne würde sie einmal in ein fernes Land reisen … Ihre Träume wanderten vorbei an der blinden Justitia mit Waage und Schwert, bis zu dem Schlangensymbol über den medizinischen Büchern, die in den letzten Regalen vor dem Erker standen. Es war wie der Blick in eine Schatztruhe. Unzählige medizinische Bücher, eines neben dem anderen. Und schon heute Abend würde sie sich ein Buch aussuchen und in ihrem Bett …
    Helena stieß einen spitzen Schrei aus.
    »Alles in Ordnung?«, rief Sebastian von hinten.
    Da lag schon jemand in ihrem Bett. Ein Mann. Völlig verwahrlost, in zerrissener Hose und blutverschmiertem Hemd. Die langen Haare verfilzt und zerzaust, das Gesicht derb und unrasiert. Er presste den Finger auf die Lippen, seine Augen waren vor Angst geweitet.
    Sie wollte um Hilfe schreien. Dann schoss ihr ein Gedanke durch den Kopf. Er war auf der Flucht, genau wie sie. Und jetzt? Unmöglich, sich ein Zimmer mit ihm zu teilen. Es konnte ihr gleichgültig sein, welche Beweggründe dieser Mann gehabt hatte. Vor wem oder was er auf der Flucht war. Es war nicht ihr Haus – aber auch nicht mehr ihr Zimmer.
    Sie machte auf dem Absatz kehrt und noch im Gehen rief sie Sebastian zu: »Ich möchte doch ein anderes Zimmer!«
    »Aber warum … Eben war es doch …« Stirnrunzelnd sah er ihr entgegen. »Sie sind vielleicht ein wankelmütiges Weibsbild! «
    Abrupt blieb Helena vor ihm stehen. »Das bin ich nicht! Ich weiß sehr genau, was ich will!«
    »So?«

    »Ja!«
    »Aha.«
    Helena bahnte sich ihren Weg am Stiftskanzler vorbei. »Ich habe meine Meinung eben geändert. Ich werde mich jetzt bei der Fürstäbtissin verabschieden, um

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