Mädchen und der Leibarzt
verdunkelte sich augenblicklich. »Erfreulich? Was soll an einem Brief des Königs von Preußen erfreulich sein? Das kann doch nur die Stiftsauflösung betreffen.«
»Vollkommener Unsinn. Hören Sie nur her, es hätte uns kein besseres Schicksal zuteilwerden können.
Hochwürdige Durchlauchtige Fürstin,
freundlich liebe Muhme,
das Kriegsunglück hat über Deutschland das traurige Schicksal unvermeidlicher Veränderungen verhängt.
So willig ich mich meinem harten Los unterworfen hätte, so wenig kann ich allein zurückstehen, nachdem ich meine jenseits des Rheinstroms gelegenen Provinzen der allgemeinen Ruhe und dem Frieden zum Opfer dargebracht habe.
Gerne hätte ich das Resultat der Beratschlagungen der Reichsdeputation abgewartet, aber da allenthalben zur Besitznahme geschritten wird, so darf auch ich nicht säumen, Ihnen freundlich mitzuteilen, dass mir durch das Einverständnis gedachter Mächte unter anderem auch als Entschädigung das Stift Quedlinburg in säkularisiertem Zustande als erbliche Besitzung bestimmt und zugeteilt worden ist, so dass ich dasselbe jetzt in dieser Art mir vorläufig zuzueignen habe.
Indem ich ehrwürdige Hoheit und Liebde hiervon Kenntnis erteile, finde ich eine besondere Beruhigung darin, zugleich hinzufügen zu können, dass ich von jener wichtigen Bestimmung nur einen solchen Gebrauch zu machen gedenke, als es dieser meiner Gesinnung und persönlichen Rücksicht für Sie auf das Vollkommenste entspricht. Ehrwürdige Hoheit und Liebde wollen sich demnach im Voraus versichert halten, dass Sie davon für Ihre Person und was insbesondere den Besitz und Genuss Ihrer bisherigen Einkünfte betrifft, alle die Erfahrungen meiner wohlwollendsten Aufmerksamkeit und Freundschaft machen werden, welche nur immer mit meinen aus den Entschädigungstraktaten erlangten eigenen Rechten und Verhältnissen vereinbarlich sind.
Hierbei werden indes Ehrwürdige Hoheit und Liebde aus dem Resultate dieser Traktate von selbst erleuchtet annehmen, dass dero Verhältnisse eines unmittelbaren Reichs- und Kreisstandes ganz aufhören.
Mein General von der Cavallerie und Geheimer Staats-, Kriegs- und dirigierender Minister, wie auch General-Controlleur der Finanzen Graf von der Schulenburg-Kehnert, welchem ich die obere Leitung der Besitznahme der mir zufallenden Indemnitäten und aller damit in Verbindung stehenden Einrichtungen übertragen habe, hat insbesondere auch den Auftrag erhalten, alle die Vorkehrungen zu treffen, welche zur Erreichung jener meiner persönlichen wohlgemeinten Absichten dienlich und erforderlich sein werden. Ich kann Ehrwürdige Hoheit und Liebde umso zuversichtlicher auffordern, sich in die gegenwärtige Veränderung als eine unabwendbare Folge der Zeitumstände zu schicken , und mir die Gelegenheit gewähren, dieser Besitznehmung nicht das mindeste in den Wege zu legen , sondern vielmehr sich selbst bestreben werden, überall gute Ordnung und Ruhe zu erhalten. Dabei versichere ich, dass alles in Status quo belassen werden soll, wo dies möglich ist. Was ich überdies tun kann, um den Wohlstand der Untertanen zu erhalten, ihre wohlhergebrachten Rechte und Gewohnheiten zu schützen, und um den Individuen, insbesondere aber Euer Liebden dieses schwere Verhängnis minder drückend zu machen, so soll dies gewiss nicht unterbleiben, und ich werde mich glücklich schätzen, mein wirksamstes Wohlwollen eintreten zu lassen und dadurch die Gesinnungen der aufrichtigsten Freundschaft tätig zu beweisen, mit welchen ich bin und verbleibe
Ehrwürdiger Hoheit und Liebde
Freundwilliger Vetter
Gez. Friedrich Wilhelm
»Nun, meine Damen, was sagen Sie?« Triumphierend hob die Fürstäbtissin den Blick, doch ihr Lächeln erstarb, als sie reihum in bestürzte Gesichter schaute.
Die Seniorin fasste sich als Erste. »Und was soll daran bitte erfreulich sein? Damit ist das Ende des Stifts schriftlich besiegelt! Jegliche Lebenssicherheit ist uns genommen! Aber das werden wir nicht so einfach hinnehmen.« Sie wurde noch lauter. »Wir werden uns wehren!«
»So beruhigen Sie sich, bitte. Haben Sie nicht gehört? Es soll alles in Status quo belassen werden.«
»Nein, werte Fürstäbtissin. Ich werde mich nicht beruhigen! Der König nimmt das Stift in seinen Besitz, da stimmen Sie mir doch zu, oder? Das geht doch eindeutig aus diesem Schreiben hervor!«
»Gewiss.«
»Nun also! Er macht es sich doch nur bequem! Verstehen Sie denn nicht? Sobald er sich ohne Widerstände seinen neuen Besitz
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